Bovillard goß den Rest der zweiten Flasche in das Glas und erhob es: "Angestoßen, Freunde! Auf das Andenken der Kindesmörderin! Selige ver¬ irrte Schwester, dieser Tropfen sei Dir geweiht, daß Du Preußen vor Ministern bewahrt hast, die Genies sind! -- Was stiert Excellenz Christian ins Glas und trinkt nicht? Suchst Du im Wein nach einem untergegangenen Genie? Verlorne Müh. Ertrunknes lebt nicht wieder auf."
"Mir kommt nur der Gedanke, sagte der Mi¬ nister nach einer Pause, ob eine Regierung denn über¬ haupt der Genies bedarf? Unser Minos vom Kammer¬ gericht fertigte neulich einen Bekannten, der ihm einen genialen Juristen für das Collegium empfahl, mit den Worten ab: Ich brauche nur zwei für die kniff¬ lichen Sachen, für die andern sind Ochsen ausreichend."
"Ochsen mögen eine Weile die Tretmühle trei¬ ben, wie Excellenz das selbst am besten wissen, im Uebrigen meine ich, daß Ochsen noch nie eine Mühle in Gang gebracht haben."
"Woran ging Josephs II. Schöpfung unter, fuhr die Excellenz fort. Und was meint Ihr, daß aus unserm Staat würde, wenn irgend ein Zufall Prinz Louis Ferdinand auf den Thron brächte?"
Nach einer kleinen Pause hub der Geheimrath an, den Weinrest in seinem Glase schüttelnd:
"Ich meine, zuerst würde er unsern verehrten Wirth zur Thür hinaus complimentiren. Dann gings an Lombard, Beyme, Lucchesini, an uns alle. Es
Bovillard goß den Reſt der zweiten Flaſche in das Glas und erhob es: „Angeſtoßen, Freunde! Auf das Andenken der Kindesmörderin! Selige ver¬ irrte Schweſter, dieſer Tropfen ſei Dir geweiht, daß Du Preußen vor Miniſtern bewahrt haſt, die Genies ſind! — Was ſtiert Excellenz Chriſtian ins Glas und trinkt nicht? Suchſt Du im Wein nach einem untergegangenen Genie? Verlorne Müh. Ertrunknes lebt nicht wieder auf.“
„Mir kommt nur der Gedanke, ſagte der Mi¬ niſter nach einer Pauſe, ob eine Regierung denn über¬ haupt der Genies bedarf? Unſer Minos vom Kammer¬ gericht fertigte neulich einen Bekannten, der ihm einen genialen Juriſten für das Collegium empfahl, mit den Worten ab: Ich brauche nur zwei für die kniff¬ lichen Sachen, für die andern ſind Ochſen ausreichend.“
„Ochſen mögen eine Weile die Tretmühle trei¬ ben, wie Excellenz das ſelbſt am beſten wiſſen, im Uebrigen meine ich, daß Ochſen noch nie eine Mühle in Gang gebracht haben.“
„Woran ging Joſephs II. Schöpfung unter, fuhr die Excellenz fort. Und was meint Ihr, daß aus unſerm Staat würde, wenn irgend ein Zufall Prinz Louis Ferdinand auf den Thron brächte?“
Nach einer kleinen Pauſe hub der Geheimrath an, den Weinreſt in ſeinem Glaſe ſchüttelnd:
„Ich meine, zuerſt würde er unſern verehrten Wirth zur Thür hinaus complimentiren. Dann gings an Lombard, Beyme, Luccheſini, an uns alle. Es
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Bovillard goß den Reſt der zweiten Flaſche in
das Glas und erhob es: „Angeſtoßen, Freunde!
Auf das Andenken der Kindesmörderin! Selige ver¬
irrte Schweſter, dieſer Tropfen ſei Dir geweiht, daß
Du Preußen vor Miniſtern bewahrt haſt, die Genies
ſind! — Was ſtiert Excellenz Chriſtian ins Glas
und trinkt nicht? Suchſt Du im Wein nach einem
untergegangenen Genie? Verlorne Müh. Ertrunknes
lebt nicht wieder auf.“
„Mir kommt nur der Gedanke, ſagte der Mi¬
niſter nach einer Pauſe, ob eine Regierung denn über¬
haupt der Genies bedarf? Unſer Minos vom Kammer¬
gericht fertigte neulich einen Bekannten, der ihm einen
genialen Juriſten für das Collegium empfahl, mit
den Worten ab: Ich brauche nur zwei für die kniff¬
lichen Sachen, für die andern ſind Ochſen ausreichend.“
„Ochſen mögen eine Weile die Tretmühle trei¬
ben, wie Excellenz das ſelbſt am beſten wiſſen, im
Uebrigen meine ich, daß Ochſen noch nie eine Mühle
in Gang gebracht haben.“
„Woran ging Joſephs II. Schöpfung unter, fuhr
die Excellenz fort. Und was meint Ihr, daß aus
unſerm Staat würde, wenn irgend ein Zufall Prinz
Louis Ferdinand auf den Thron brächte?“
Nach einer kleinen Pauſe hub der Geheimrath
an, den Weinreſt in ſeinem Glaſe ſchüttelnd:
„Ich meine, zuerſt würde er unſern verehrten
Wirth zur Thür hinaus complimentiren. Dann gings
an Lombard, Beyme, Luccheſini, an uns alle. Es
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/270>, abgerufen am 24.11.2024.
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