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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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"Wie ein vernünftiger Mensch sich in solchen
Phantasien gefallen kann!"

"Wer sagt, daß ich vernünftig bin! Wer bleibt
vernünftig in einem Tollhause!" Er stürzte ein Paar
neue Gläser hinunter. Es war schon dunkel geworden.
Die Lichter an den Fenstern der gegenüberstehenden
Häuser warfen nur einen Sprenkelschein in das
unheimliche Zimmer, durch den Kamin zückte dann
und wann ein heulender Ton, wenn der Wind in
den Schlott fuhr. Dem Kammerherrn ward es immer
unheimlicher.

"Citiren Sie keine Geister, sagte er den Stuhl
näher rückend. Sinnen Sie lieber, wie wir raus¬
kommen."

"Ich sehe einen Geist! Da schreitet er, riesen¬
groß, mit funkelndem Aug, und hebt die Krücke:
Wo habt Ihr meine Erbschaft verpraßt? fragt er.
Daran hätten Generationen zehren können, wo ist
mein Schatz, Ihr Herren Geheimräthe? Wo das An¬
sehn, das ich Euch hinterließ? Hättet Ihr nur meinen
Hut auf eine Stange gesteckt, meinen Rock daran
gehängt, Ihr hättet ruhig schlafen können, sie hätten
sich nicht über meine Gränze gewagt. Das hinterließ
ich Euch, es war weit mehr als meine Schätze. Wo
ist der Respekt vor meinem Reich? Ihr buhlt, ko¬
kettirt, schachert mit der Schuld um die Unschuld;
meine großen Gedanken zerreißt Ihr wie ein kostbar
Gewebe in Fasern, um die Bettelarmuth Eures Geistes
damit zu schmücken. Ihr reitet auf meinem Namen,

„Wie ein vernünftiger Menſch ſich in ſolchen
Phantaſien gefallen kann!“

„Wer ſagt, daß ich vernünftig bin! Wer bleibt
vernünftig in einem Tollhauſe!“ Er ſtürzte ein Paar
neue Gläſer hinunter. Es war ſchon dunkel geworden.
Die Lichter an den Fenſtern der gegenüberſtehenden
Häuſer warfen nur einen Sprenkelſchein in das
unheimliche Zimmer, durch den Kamin zückte dann
und wann ein heulender Ton, wenn der Wind in
den Schlott fuhr. Dem Kammerherrn ward es immer
unheimlicher.

„Citiren Sie keine Geiſter, ſagte er den Stuhl
näher rückend. Sinnen Sie lieber, wie wir raus¬
kommen.“

„Ich ſehe einen Geiſt! Da ſchreitet er, rieſen¬
groß, mit funkelndem Aug, und hebt die Krücke:
Wo habt Ihr meine Erbſchaft verpraßt? fragt er.
Daran hätten Generationen zehren können, wo iſt
mein Schatz, Ihr Herren Geheimräthe? Wo das An¬
ſehn, das ich Euch hinterließ? Hättet Ihr nur meinen
Hut auf eine Stange geſteckt, meinen Rock daran
gehängt, Ihr hättet ruhig ſchlafen können, ſie hätten
ſich nicht über meine Gränze gewagt. Das hinterließ
ich Euch, es war weit mehr als meine Schätze. Wo
iſt der Reſpekt vor meinem Reich? Ihr buhlt, ko¬
kettirt, ſchachert mit der Schuld um die Unſchuld;
meine großen Gedanken zerreißt Ihr wie ein koſtbar
Gewebe in Faſern, um die Bettelarmuth Eures Geiſtes
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[332/0346] „Wie ein vernünftiger Menſch ſich in ſolchen Phantaſien gefallen kann!“ „Wer ſagt, daß ich vernünftig bin! Wer bleibt vernünftig in einem Tollhauſe!“ Er ſtürzte ein Paar neue Gläſer hinunter. Es war ſchon dunkel geworden. Die Lichter an den Fenſtern der gegenüberſtehenden Häuſer warfen nur einen Sprenkelſchein in das unheimliche Zimmer, durch den Kamin zückte dann und wann ein heulender Ton, wenn der Wind in den Schlott fuhr. Dem Kammerherrn ward es immer unheimlicher. „Citiren Sie keine Geiſter, ſagte er den Stuhl näher rückend. Sinnen Sie lieber, wie wir raus¬ kommen.“ „Ich ſehe einen Geiſt! Da ſchreitet er, rieſen¬ groß, mit funkelndem Aug, und hebt die Krücke: Wo habt Ihr meine Erbſchaft verpraßt? fragt er. Daran hätten Generationen zehren können, wo iſt mein Schatz, Ihr Herren Geheimräthe? Wo das An¬ ſehn, das ich Euch hinterließ? Hättet Ihr nur meinen Hut auf eine Stange geſteckt, meinen Rock daran gehängt, Ihr hättet ruhig ſchlafen können, ſie hätten ſich nicht über meine Gränze gewagt. Das hinterließ ich Euch, es war weit mehr als meine Schätze. Wo iſt der Reſpekt vor meinem Reich? Ihr buhlt, ko¬ kettirt, ſchachert mit der Schuld um die Unſchuld; meine großen Gedanken zerreißt Ihr wie ein koſtbar Gewebe in Faſern, um die Bettelarmuth Eures Geiſtes damit zu ſchmücken. Ihr reitet auf meinem Namen,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/346>, abgerufen am 24.11.2024.