Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich werde mich selbst ausziehen. Lisette soll mit den
andern die Sachen fortschaffen, aber sie soll sich
nicht unterstehen Lärm zu machen. Ich will nichts
mehr wissen, versteht Er mich."

"Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück:
"Morgen früh wird Niemand vorgelassen. Niemand."

"Herr Jean Paul Richter fragten wann er seine
Aufwartung machen könne, um Abschied zu nehmen?"

"Ich bin nie, wenn er sich meldet, zuhause."

Sie stand noch eine Weile, nachdem der Be¬
diente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet.
Ihr mußte sehr heiß sein, sie schöpfte tief Athem, riß
Tuch und Kleidungsstücke auf und warf sich auf das
Sopha, den Kopf im Arm gestützt.

Sie wollte nichts von dem Geräusch hören, und
hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das
Klappern der Teller, so leise Mägde und Diener ihr
Geschäft verrichteten. Sie gab sich Mühe die Tritte
jedes einzelnen zu erkennen, und indem sie sich darüber
ärgerte, horchte sie nur immer schärfer. Sie haderte
innerlich, diese Magd sollte einen Verweis erhalten,
jene entlassen werden.

Was glühte in ihren Adern, was war die trockene
Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Un¬
ruhe, die jede Anwandlung von Schlaf verscheuchte?
Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter
vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in
einem langen, trostlosen mit dem Leben. -- Und von
wem war sie geschlagen? -- Von allen. Heut, wo

Ich werde mich ſelbſt ausziehen. Liſette ſoll mit den
andern die Sachen fortſchaffen, aber ſie ſoll ſich
nicht unterſtehen Lärm zu machen. Ich will nichts
mehr wiſſen, verſteht Er mich.“

„Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück:
„Morgen früh wird Niemand vorgelaſſen. Niemand.“

„Herr Jean Paul Richter fragten wann er ſeine
Aufwartung machen könne, um Abſchied zu nehmen?“

„Ich bin nie, wenn er ſich meldet, zuhauſe.“

Sie ſtand noch eine Weile, nachdem der Be¬
diente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet.
Ihr mußte ſehr heiß ſein, ſie ſchöpfte tief Athem, riß
Tuch und Kleidungsſtücke auf und warf ſich auf das
Sopha, den Kopf im Arm geſtützt.

Sie wollte nichts von dem Geräuſch hören, und
hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das
Klappern der Teller, ſo leiſe Mägde und Diener ihr
Geſchäft verrichteten. Sie gab ſich Mühe die Tritte
jedes einzelnen zu erkennen, und indem ſie ſich darüber
ärgerte, horchte ſie nur immer ſchärfer. Sie haderte
innerlich, dieſe Magd ſollte einen Verweis erhalten,
jene entlaſſen werden.

Was glühte in ihren Adern, was war die trockene
Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Un¬
ruhe, die jede Anwandlung von Schlaf verſcheuchte?
Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter
vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in
einem langen, troſtloſen mit dem Leben. — Und von
wem war ſie geſchlagen? — Von allen. Heut, wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="154"/>
Ich werde mich &#x017F;elb&#x017F;t ausziehen. Li&#x017F;ette &#x017F;oll mit den<lb/>
andern die Sachen fort&#x017F;chaffen, aber &#x017F;ie &#x017F;oll &#x017F;ich<lb/>
nicht unter&#x017F;tehen Lärm zu machen. Ich will nichts<lb/>
mehr wi&#x017F;&#x017F;en, ver&#x017F;teht Er mich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück:<lb/>
&#x201E;Morgen früh wird Niemand vorgela&#x017F;&#x017F;en. Niemand.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr Jean Paul Richter fragten wann er &#x017F;eine<lb/>
Aufwartung machen könne, um Ab&#x017F;chied zu nehmen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin nie, wenn er &#x017F;ich meldet, zuhau&#x017F;e.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;tand noch eine Weile, nachdem der Be¬<lb/>
diente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet.<lb/>
Ihr mußte &#x017F;ehr heiß &#x017F;ein, &#x017F;ie &#x017F;chöpfte tief Athem, riß<lb/>
Tuch und Kleidungs&#x017F;tücke auf und warf &#x017F;ich auf das<lb/>
Sopha, den Kopf im Arm ge&#x017F;tützt.</p><lb/>
        <p>Sie wollte nichts von dem Geräu&#x017F;ch hören, und<lb/>
hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das<lb/>
Klappern der Teller, &#x017F;o lei&#x017F;e Mägde und Diener ihr<lb/>
Ge&#x017F;chäft verrichteten. Sie gab &#x017F;ich Mühe die Tritte<lb/>
jedes einzelnen zu erkennen, und indem &#x017F;ie &#x017F;ich darüber<lb/>
ärgerte, horchte &#x017F;ie nur immer &#x017F;chärfer. Sie haderte<lb/>
innerlich, die&#x017F;e Magd &#x017F;ollte einen Verweis erhalten,<lb/>
jene entla&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
        <p>Was glühte in ihren Adern, was war die trockene<lb/>
Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Un¬<lb/>
ruhe, die jede Anwandlung von Schlaf ver&#x017F;cheuchte?<lb/>
Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter<lb/>
vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in<lb/>
einem langen, tro&#x017F;tlo&#x017F;en mit dem Leben. &#x2014; Und von<lb/>
wem war &#x017F;ie ge&#x017F;chlagen? &#x2014; Von allen. Heut, wo<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0164] Ich werde mich ſelbſt ausziehen. Liſette ſoll mit den andern die Sachen fortſchaffen, aber ſie ſoll ſich nicht unterſtehen Lärm zu machen. Ich will nichts mehr wiſſen, verſteht Er mich.“ „Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück: „Morgen früh wird Niemand vorgelaſſen. Niemand.“ „Herr Jean Paul Richter fragten wann er ſeine Aufwartung machen könne, um Abſchied zu nehmen?“ „Ich bin nie, wenn er ſich meldet, zuhauſe.“ Sie ſtand noch eine Weile, nachdem der Be¬ diente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet. Ihr mußte ſehr heiß ſein, ſie ſchöpfte tief Athem, riß Tuch und Kleidungsſtücke auf und warf ſich auf das Sopha, den Kopf im Arm geſtützt. Sie wollte nichts von dem Geräuſch hören, und hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das Klappern der Teller, ſo leiſe Mägde und Diener ihr Geſchäft verrichteten. Sie gab ſich Mühe die Tritte jedes einzelnen zu erkennen, und indem ſie ſich darüber ärgerte, horchte ſie nur immer ſchärfer. Sie haderte innerlich, dieſe Magd ſollte einen Verweis erhalten, jene entlaſſen werden. Was glühte in ihren Adern, was war die trockene Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Un¬ ruhe, die jede Anwandlung von Schlaf verſcheuchte? Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in einem langen, troſtloſen mit dem Leben. — Und von wem war ſie geſchlagen? — Von allen. Heut, wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/164
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/164>, abgerufen am 18.05.2024.