Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.wieder in den Naturzustand, in die Barbarei zurück, Sie schauderte, vor sich niederblickend. Hatte er "Vor einer andern Schülerin würde ich das nicht Adelheid sah ihn verwundert an. Er war in Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tisch, wieder in den Naturzuſtand, in die Barbarei zurück, Sie ſchauderte, vor ſich niederblickend. Hatte er „Vor einer andern Schülerin würde ich das nicht Adelheid ſah ihn verwundert an. Er war in Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tiſch, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0230" n="220"/> wieder in den Naturzuſtand, in die Barbarei zurück,<lb/> wo die Thaten der Atreus und Thyeſtes möglich ſind.“</p><lb/> <p>Sie ſchauderte, vor ſich niederblickend. Hatte er<lb/> zu viel geſagt?</p><lb/> <p>„Vor einer andern Schülerin würde ich das nicht<lb/> ſagen, aber Ihr Geiſt, Adelheid, iſt ſtark. Sie ſelbſt<lb/> haben, ſo jung noch, Prüfungen zu überſtehen gehabt,<lb/> Sie haben Blicke in die wüſte Verworfenheit gethan.<lb/> Iſt z. B. eine Mutter, die ihr Kind ermordet, nur um<lb/> mit Anſtand noch in der Geſellſchaft weiter zu erſcheinen, ſo<lb/> viel beſſer, als jene rohen Barbaren, die ihrem Rache¬<lb/> trieb alles opferten! Und ſind es die vielen hier, welche<lb/> aus falſcher Empfindſamkeit die entſetzliche That be¬<lb/> ſchönigten? Wiſſen Sie, weiß ich, welche Prüfungen<lb/> auch meiner Freundin noch aufgeſpart ſind, wie viele<lb/> von denen, die Sie jetzt mit Aufmerkſamkeiten über¬<lb/> häufen, die ſo liebenswürdig, edel, ſprechen und zu<lb/> handeln ſcheinen, Ihnen in einem ganz andern Lichte<lb/> erſcheinen werden!“</p><lb/> <p>Adelheid ſah ihn verwundert an. Er war in<lb/> Gedanken vertieft. — „Es war Unrecht von mir, rief<lb/> er plötzlich auf. Die Vorſehung hat uns die ſchönen<lb/> Illuſionen als Pathengeſchenk mitgegeben, damit wir<lb/> Muth behalten. Sie ſelbſt lüftet für jeden nur ſo<lb/> viel von dem Schleier, als er ertragen kann. Und<lb/> Niemand hat das Recht, dem andern die ſchirmende<lb/> Decke fortzureißen. Vergebung! Kehren wir zur Iphi¬<lb/> genia zurück.“</p><lb/> <p>Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tiſch,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0230]
wieder in den Naturzuſtand, in die Barbarei zurück,
wo die Thaten der Atreus und Thyeſtes möglich ſind.“
Sie ſchauderte, vor ſich niederblickend. Hatte er
zu viel geſagt?
„Vor einer andern Schülerin würde ich das nicht
ſagen, aber Ihr Geiſt, Adelheid, iſt ſtark. Sie ſelbſt
haben, ſo jung noch, Prüfungen zu überſtehen gehabt,
Sie haben Blicke in die wüſte Verworfenheit gethan.
Iſt z. B. eine Mutter, die ihr Kind ermordet, nur um
mit Anſtand noch in der Geſellſchaft weiter zu erſcheinen, ſo
viel beſſer, als jene rohen Barbaren, die ihrem Rache¬
trieb alles opferten! Und ſind es die vielen hier, welche
aus falſcher Empfindſamkeit die entſetzliche That be¬
ſchönigten? Wiſſen Sie, weiß ich, welche Prüfungen
auch meiner Freundin noch aufgeſpart ſind, wie viele
von denen, die Sie jetzt mit Aufmerkſamkeiten über¬
häufen, die ſo liebenswürdig, edel, ſprechen und zu
handeln ſcheinen, Ihnen in einem ganz andern Lichte
erſcheinen werden!“
Adelheid ſah ihn verwundert an. Er war in
Gedanken vertieft. — „Es war Unrecht von mir, rief
er plötzlich auf. Die Vorſehung hat uns die ſchönen
Illuſionen als Pathengeſchenk mitgegeben, damit wir
Muth behalten. Sie ſelbſt lüftet für jeden nur ſo
viel von dem Schleier, als er ertragen kann. Und
Niemand hat das Recht, dem andern die ſchirmende
Decke fortzureißen. Vergebung! Kehren wir zur Iphi¬
genia zurück.“
Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tiſch,
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