einem Tage, den beschwerlichen Weg unternehmen ließ Ja, Potsdam, das lange verödete, schien wieder der Mittelpunkt eines Europäischen Lebens geworden. Man sah es an den Blicken, man hörte es am Ge¬ flüster der Gruppen; aber nicht an den laut gewor¬ denen Reden. Denn wenn zwei sich begegneten, frag¬ ten sie nur: "Haben Sie ihn schon gesehen?" -- Wenn ihn nicht, den ritterlichen Gast, hatte man doch einen seiner silberumgürteten Kosacken gesehen, die Straße auf, Straße absprengten, angestaunt und bewun¬ dert von Allen. Und es war doch auch sonst so viel auf den Straßen zu sehen, was da selten sich zeigt: die ersten Männer des Staates, Militair und Civil, im Freien promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken stehend. Es schien ein öffentliches Leben in der Stadt Pots¬ dam, und -- es war keine Parade! So vornehm die Männer und Gäste, waren doch nicht alle gela¬ den, ja die wenigsten hatten in den Appartements des Schlosses Zutritt, welche heute mehr dem häus¬ lichen nur Familienbeisammensein geöffnet sein soll¬ ten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und was sich entwickeln werde, hatte die Ersten und Höch¬ sten hergetrieben. Feldherrn, Minister und Kabinets¬ räthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus der Autorität und des alles besser wissens um die Stirn, suchten, wie der Opferpriester im Flug der Vögel, in den Mienen der andern, ob sie eingeweiht waren? Es mußten wenige eingeweiht sein. Die eben vom Schlosse zurückkamen, antworteten,
einem Tage, den beſchwerlichen Weg unternehmen ließ Ja, Potsdam, das lange verödete, ſchien wieder der Mittelpunkt eines Europäiſchen Lebens geworden. Man ſah es an den Blicken, man hörte es am Ge¬ flüſter der Gruppen; aber nicht an den laut gewor¬ denen Reden. Denn wenn zwei ſich begegneten, frag¬ ten ſie nur: „Haben Sie ihn ſchon geſehen?“ — Wenn ihn nicht, den ritterlichen Gaſt, hatte man doch einen ſeiner ſilberumgürteten Koſacken geſehen, die Straße auf, Straße abſprengten, angeſtaunt und bewun¬ dert von Allen. Und es war doch auch ſonſt ſo viel auf den Straßen zu ſehen, was da ſelten ſich zeigt: die erſten Männer des Staates, Militair und Civil, im Freien promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken ſtehend. Es ſchien ein öffentliches Leben in der Stadt Pots¬ dam, und — es war keine Parade! So vornehm die Männer und Gäſte, waren doch nicht alle gela¬ den, ja die wenigſten hatten in den Appartements des Schloſſes Zutritt, welche heute mehr dem häus¬ lichen nur Familienbeiſammenſein geöffnet ſein ſoll¬ ten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und was ſich entwickeln werde, hatte die Erſten und Höch¬ ſten hergetrieben. Feldherrn, Miniſter und Kabinets¬ räthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus der Autorität und des alles beſſer wiſſens um die Stirn, ſuchten, wie der Opferprieſter im Flug der Vögel, in den Mienen der andern, ob ſie eingeweiht waren? Es mußten wenige eingeweiht ſein. Die eben vom Schloſſe zurückkamen, antworteten,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0101"n="91"/>
einem Tage, den beſchwerlichen Weg unternehmen ließ<lb/>
Ja, Potsdam, das lange verödete, ſchien wieder der<lb/>
Mittelpunkt eines Europäiſchen Lebens geworden.<lb/>
Man ſah es an den Blicken, man hörte es am Ge¬<lb/>
flüſter der Gruppen; aber nicht an den laut gewor¬<lb/>
denen Reden. Denn wenn zwei ſich begegneten, frag¬<lb/>
ten ſie nur: „Haben Sie ihn ſchon geſehen?“—<lb/>
Wenn <hirendition="#g">ihn</hi> nicht, den ritterlichen Gaſt, hatte man doch<lb/>
einen ſeiner ſilberumgürteten Koſacken geſehen, die<lb/>
Straße auf, Straße abſprengten, angeſtaunt und bewun¬<lb/>
dert von Allen. Und es war doch auch ſonſt ſo viel auf<lb/>
den Straßen zu ſehen, was da ſelten ſich zeigt: die erſten<lb/>
Männer des Staates, Militair und Civil, im Freien<lb/>
promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken ſtehend.<lb/>
Es ſchien ein öffentliches Leben in der Stadt Pots¬<lb/>
dam, und — es war keine Parade! So vornehm<lb/>
die Männer und Gäſte, waren doch nicht alle gela¬<lb/>
den, ja die wenigſten hatten in den Appartements<lb/>
des Schloſſes Zutritt, welche heute mehr dem häus¬<lb/>
lichen nur Familienbeiſammenſein geöffnet ſein ſoll¬<lb/>
ten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und<lb/>
was ſich entwickeln werde, hatte die Erſten und Höch¬<lb/>ſten hergetrieben. Feldherrn, Miniſter und Kabinets¬<lb/>
räthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus<lb/>
der Autorität und des alles beſſer wiſſens um die<lb/>
Stirn, ſuchten, wie der Opferprieſter im Flug<lb/>
der Vögel, in den Mienen der andern, ob ſie<lb/>
eingeweiht waren? Es mußten wenige eingeweiht<lb/>ſein. Die eben vom Schloſſe zurückkamen, antworteten,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[91/0101]
einem Tage, den beſchwerlichen Weg unternehmen ließ
Ja, Potsdam, das lange verödete, ſchien wieder der
Mittelpunkt eines Europäiſchen Lebens geworden.
Man ſah es an den Blicken, man hörte es am Ge¬
flüſter der Gruppen; aber nicht an den laut gewor¬
denen Reden. Denn wenn zwei ſich begegneten, frag¬
ten ſie nur: „Haben Sie ihn ſchon geſehen?“ —
Wenn ihn nicht, den ritterlichen Gaſt, hatte man doch
einen ſeiner ſilberumgürteten Koſacken geſehen, die
Straße auf, Straße abſprengten, angeſtaunt und bewun¬
dert von Allen. Und es war doch auch ſonſt ſo viel auf
den Straßen zu ſehen, was da ſelten ſich zeigt: die erſten
Männer des Staates, Militair und Civil, im Freien
promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken ſtehend.
Es ſchien ein öffentliches Leben in der Stadt Pots¬
dam, und — es war keine Parade! So vornehm
die Männer und Gäſte, waren doch nicht alle gela¬
den, ja die wenigſten hatten in den Appartements
des Schloſſes Zutritt, welche heute mehr dem häus¬
lichen nur Familienbeiſammenſein geöffnet ſein ſoll¬
ten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und
was ſich entwickeln werde, hatte die Erſten und Höch¬
ſten hergetrieben. Feldherrn, Miniſter und Kabinets¬
räthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus
der Autorität und des alles beſſer wiſſens um die
Stirn, ſuchten, wie der Opferprieſter im Flug
der Vögel, in den Mienen der andern, ob ſie
eingeweiht waren? Es mußten wenige eingeweiht
ſein. Die eben vom Schloſſe zurückkamen, antworteten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/101>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.