Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte sich ihre Gedanken ablesen, ehe sie ein Wort gewechselt. Der Blick und die Physiognomie allein thun es nicht; es ist der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftschwere oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang sich begegnen, Worte tauschen, und bleiben sich doch fremd, es ist der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen aufschließt.
Der Weg zum Gespräch war kurz, wo beide sich entgegen kamen.
"Was war denn sein Vaterland, rief der Major, mit dem Stock in die Erde bohrend, als er die Fran¬ zosen lieben lernte, was sie ihm jetzt zum Verbre¬ chen machen! Ich alter Mann lese nicht viel neue Bücher, doch aber einige, und ich lese es mit Schmerz, wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie war es denn damals? Sehn Sie um sich, so weit das Deutsche Reich ging, -- wie mußte er sie zu sich heran schleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur weil er's commandirte. Nun, war's da zu verwun¬ dern, daß er keinen Respect bekam vor den Leuten, die nur auf Commando einen geraden Rücken zeigten, die auf Commando ins Licht blickten, daß er auf die nicht hörte, die ihn nicht verstanden, und wie er alt und grämlich ward, auf Niemand mehr."
Walter wies auf die Glasthür in der Mitte: "Dort saß der König dieses Landes mit dem herge¬ laufenen Witz aus allen Ländern, und beim schäu¬ menden Glase sprühte von ihren Lippen der Spott
Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte ſich ihre Gedanken ableſen, ehe ſie ein Wort gewechſelt. Der Blick und die Phyſiognomie allein thun es nicht; es iſt der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftſchwere oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang ſich begegnen, Worte tauſchen, und bleiben ſich doch fremd, es iſt der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen aufſchließt.
Der Weg zum Geſpräch war kurz, wo beide ſich entgegen kamen.
„Was war denn ſein Vaterland, rief der Major, mit dem Stock in die Erde bohrend, als er die Fran¬ zoſen lieben lernte, was ſie ihm jetzt zum Verbre¬ chen machen! Ich alter Mann leſe nicht viel neue Bücher, doch aber einige, und ich leſe es mit Schmerz, wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie war es denn damals? Sehn Sie um ſich, ſo weit das Deutſche Reich ging, — wie mußte er ſie zu ſich heran ſchleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur weil er's commandirte. Nun, war's da zu verwun¬ dern, daß er keinen Reſpect bekam vor den Leuten, die nur auf Commando einen geraden Rücken zeigten, die auf Commando ins Licht blickten, daß er auf die nicht hörte, die ihn nicht verſtanden, und wie er alt und grämlich ward, auf Niemand mehr.“
Walter wies auf die Glasthür in der Mitte: „Dort ſaß der König dieſes Landes mit dem herge¬ laufenen Witz aus allen Ländern, und beim ſchäu¬ menden Glaſe ſprühte von ihren Lippen der Spott
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0135"n="125"/><p>Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte ſich<lb/>
ihre Gedanken ableſen, ehe ſie ein Wort gewechſelt.<lb/>
Der Blick und die Phyſiognomie allein thun es nicht;<lb/>
es iſt der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftſchwere<lb/>
oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang ſich<lb/>
begegnen, Worte tauſchen, und bleiben ſich doch fremd,<lb/>
es iſt der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen<lb/>
aufſchließt.</p><lb/><p>Der Weg zum Geſpräch war kurz, wo beide ſich<lb/>
entgegen kamen.</p><lb/><p>„Was war denn ſein Vaterland, rief der Major,<lb/>
mit dem Stock in die Erde bohrend, als er die Fran¬<lb/>
zoſen lieben lernte, was ſie ihm jetzt zum Verbre¬<lb/>
chen machen! Ich alter Mann leſe nicht viel neue<lb/>
Bücher, doch aber einige, und ich leſe es mit Schmerz,<lb/>
wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie<lb/>
war es denn damals? Sehn Sie um ſich, ſo weit<lb/>
das Deutſche Reich ging, — wie mußte er ſie zu ſich<lb/>
heran ſchleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur<lb/>
weil er's commandirte. Nun, war's da zu verwun¬<lb/>
dern, daß er keinen Reſpect bekam vor den Leuten,<lb/>
die nur auf Commando einen geraden Rücken zeigten,<lb/>
die auf Commando ins Licht blickten, daß er auf die<lb/>
nicht hörte, die ihn nicht verſtanden, und wie er alt<lb/>
und grämlich ward, auf Niemand mehr.“</p><lb/><p>Walter wies auf die Glasthür in der Mitte:<lb/>„Dort ſaß der König dieſes Landes mit dem herge¬<lb/>
laufenen Witz aus allen Ländern, und beim ſchäu¬<lb/>
menden Glaſe ſprühte von ihren Lippen der Spott<lb/></p></div></body></text></TEI>
[125/0135]
Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte ſich
ihre Gedanken ableſen, ehe ſie ein Wort gewechſelt.
Der Blick und die Phyſiognomie allein thun es nicht;
es iſt der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftſchwere
oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang ſich
begegnen, Worte tauſchen, und bleiben ſich doch fremd,
es iſt der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen
aufſchließt.
Der Weg zum Geſpräch war kurz, wo beide ſich
entgegen kamen.
„Was war denn ſein Vaterland, rief der Major,
mit dem Stock in die Erde bohrend, als er die Fran¬
zoſen lieben lernte, was ſie ihm jetzt zum Verbre¬
chen machen! Ich alter Mann leſe nicht viel neue
Bücher, doch aber einige, und ich leſe es mit Schmerz,
wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie
war es denn damals? Sehn Sie um ſich, ſo weit
das Deutſche Reich ging, — wie mußte er ſie zu ſich
heran ſchleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur
weil er's commandirte. Nun, war's da zu verwun¬
dern, daß er keinen Reſpect bekam vor den Leuten,
die nur auf Commando einen geraden Rücken zeigten,
die auf Commando ins Licht blickten, daß er auf die
nicht hörte, die ihn nicht verſtanden, und wie er alt
und grämlich ward, auf Niemand mehr.“
Walter wies auf die Glasthür in der Mitte:
„Dort ſaß der König dieſes Landes mit dem herge¬
laufenen Witz aus allen Ländern, und beim ſchäu¬
menden Glaſe ſprühte von ihren Lippen der Spott
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/135>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.