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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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mit ihrem züngelnden Blicke, voll Sanftmuth und
doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln,
mit der unendlichen Milde, die um ihre blassen
Todtenlippen schwebt. Sie bedauert mich, sich, die
ganze Welt, und Gott weiß was hinter dem Bedauern
lauert, Hohn und Haß, Gift und Tod."

"Gerresheim, ich bitte Sie, ein Mann wie Sie,
ein Richter, Criminalist, und solche Phantasieen!"

"Ich weiß es, es ist unrecht, aber wer kann
dafür! Sie ist die reputabelste Frau in Berlin, und
doch -- "

"Was steckt dahinter?"

"Nichts weiter, Büsching, als die Warnung, daß
man die Leute nicht zu klug werden lassen darf.
Stellen Sie sich das Elend vor, wenn jeder Dieb
so fein, gewitzigt, gelehrt und gebildet wäre wie die
Geheimräthin Lupinus! Da möchte der Teufel Richter
bleiben."

Während dieses Gesprächs stand diejenige, von
welcher die Rede war, am Fenster, und hatte der
fortrollenden Kutsche nachgesehen. Das Fenster war
geschlossen und die Scheiben belegten sich vom Hauche
ihres Mundes. Sie konnte nichts mehr sehen, und
nach den Gesetzen der Natur, die wir kennen, nichts
hören, als das Fortrollen der Räder. Wer aber ihr
Physiognomiespiel beobachtet, hätte glauben mögen,
daß sie das Gespräch im Wagen angehört. In ihren
Augen stand geschrieben: ich weiß, was Ihr über
mich denkt! Ich kann's nicht ändern, aber auch Ihr

mit ihrem züngelnden Blicke, voll Sanftmuth und
doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln,
mit der unendlichen Milde, die um ihre blaſſen
Todtenlippen ſchwebt. Sie bedauert mich, ſich, die
ganze Welt, und Gott weiß was hinter dem Bedauern
lauert, Hohn und Haß, Gift und Tod.“

„Gerresheim, ich bitte Sie, ein Mann wie Sie,
ein Richter, Criminaliſt, und ſolche Phantaſieen!“

„Ich weiß es, es iſt unrecht, aber wer kann
dafür! Sie iſt die reputabelſte Frau in Berlin, und
doch — “

„Was ſteckt dahinter?“

„Nichts weiter, Büſching, als die Warnung, daß
man die Leute nicht zu klug werden laſſen darf.
Stellen Sie ſich das Elend vor, wenn jeder Dieb
ſo fein, gewitzigt, gelehrt und gebildet wäre wie die
Geheimräthin Lupinus! Da möchte der Teufel Richter
bleiben.“

Während dieſes Geſprächs ſtand diejenige, von
welcher die Rede war, am Fenſter, und hatte der
fortrollenden Kutſche nachgeſehen. Das Fenſter war
geſchloſſen und die Scheiben belegten ſich vom Hauche
ihres Mundes. Sie konnte nichts mehr ſehen, und
nach den Geſetzen der Natur, die wir kennen, nichts
hören, als das Fortrollen der Räder. Wer aber ihr
Phyſiognomieſpiel beobachtet, hätte glauben mögen,
daß ſie das Geſpräch im Wagen angehört. In ihren
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[196/0206] mit ihrem züngelnden Blicke, voll Sanftmuth und doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln, mit der unendlichen Milde, die um ihre blaſſen Todtenlippen ſchwebt. Sie bedauert mich, ſich, die ganze Welt, und Gott weiß was hinter dem Bedauern lauert, Hohn und Haß, Gift und Tod.“ „Gerresheim, ich bitte Sie, ein Mann wie Sie, ein Richter, Criminaliſt, und ſolche Phantaſieen!“ „Ich weiß es, es iſt unrecht, aber wer kann dafür! Sie iſt die reputabelſte Frau in Berlin, und doch — “ „Was ſteckt dahinter?“ „Nichts weiter, Büſching, als die Warnung, daß man die Leute nicht zu klug werden laſſen darf. Stellen Sie ſich das Elend vor, wenn jeder Dieb ſo fein, gewitzigt, gelehrt und gebildet wäre wie die Geheimräthin Lupinus! Da möchte der Teufel Richter bleiben.“ Während dieſes Geſprächs ſtand diejenige, von welcher die Rede war, am Fenſter, und hatte der fortrollenden Kutſche nachgeſehen. Das Fenſter war geſchloſſen und die Scheiben belegten ſich vom Hauche ihres Mundes. Sie konnte nichts mehr ſehen, und nach den Geſetzen der Natur, die wir kennen, nichts hören, als das Fortrollen der Räder. Wer aber ihr Phyſiognomieſpiel beobachtet, hätte glauben mögen, daß ſie das Geſpräch im Wagen angehört. In ihren Augen ſtand geſchrieben: ich weiß, was Ihr über mich denkt! Ich kann's nicht ändern, aber auch Ihr

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/206>, abgerufen am 21.11.2024.