andern, um hier einen Vortheil zu haben, mit einem kleinen Einsatz speculiren sie auf einen großen Treffer. Auch sie Thoren! Sie täuschen sich immer in dieser Berechnung; wenn die Undankbarkeit des Geschöpfes sie längst belehrt haben sollte, hegen sie dafür noch immer ein Interesse und meinen in einer Art stillen Wahnsinns, ihr Geschöpf werde doch noch ein Mal in sich gehen, und es ihnen lohnen, was sie dafür gethan."
Die Geheimräthin hielt einen Augenblick inne, es schien, als wolle sie sich an der Wirkung ihrer Rede erfreuen; aber Adelheid stand wie ein Steinbild vor ihr. Darauf hatte sie nichts zu sagen. Dann fuhr sie fort: "Ueber diese Illusion, mein Kind, bin ich wenigstens längst hinaus. Auch Du stehst auf einem Wendepunkt. Du bist selbst so klug, daß Du fühlst, wie Dein Herr van Asten eben nur that was ein geschickter Lehrer soll, den man dafür bezahlt. Er erkannte Dein Talent, und führte Dich auf den rechten Weg. Du hättest ihn, auch ohne Walter, vielleicht später, vielleicht besser gefunden. Deine Bildung ist nicht sein Werk, und noch weniger bist Du sein Geschöpf. Das siehst Du jetzt mit jedem Tage mehr ein, und um deswillen fängst Du Dich an zu schämen über das Uebermaaß von Dankbarkeit, mit dem Du Dich ihm in die Arme warfst. Du liebst ihn auch nicht. Das aber gestehst Du Dir noch nicht ein und lullst Dich vielmehr immer tiefer in die Selbsttäuschung, daß Du ihn lieben müßtest. Etwas Berechnung ist indeß auch dabei. Du möchtest gern
andern, um hier einen Vortheil zu haben, mit einem kleinen Einſatz ſpeculiren ſie auf einen großen Treffer. Auch ſie Thoren! Sie täuſchen ſich immer in dieſer Berechnung; wenn die Undankbarkeit des Geſchöpfes ſie längſt belehrt haben ſollte, hegen ſie dafür noch immer ein Intereſſe und meinen in einer Art ſtillen Wahnſinns, ihr Geſchöpf werde doch noch ein Mal in ſich gehen, und es ihnen lohnen, was ſie dafür gethan.“
Die Geheimräthin hielt einen Augenblick inne, es ſchien, als wolle ſie ſich an der Wirkung ihrer Rede erfreuen; aber Adelheid ſtand wie ein Steinbild vor ihr. Darauf hatte ſie nichts zu ſagen. Dann fuhr ſie fort: „Ueber dieſe Illuſion, mein Kind, bin ich wenigſtens längſt hinaus. Auch Du ſtehſt auf einem Wendepunkt. Du biſt ſelbſt ſo klug, daß Du fühlſt, wie Dein Herr van Aſten eben nur that was ein geſchickter Lehrer ſoll, den man dafür bezahlt. Er erkannte Dein Talent, und führte Dich auf den rechten Weg. Du hätteſt ihn, auch ohne Walter, vielleicht ſpäter, vielleicht beſſer gefunden. Deine Bildung iſt nicht ſein Werk, und noch weniger biſt Du ſein Geſchöpf. Das ſiehſt Du jetzt mit jedem Tage mehr ein, und um deswillen fängſt Du Dich an zu ſchämen über das Uebermaaß von Dankbarkeit, mit dem Du Dich ihm in die Arme warfſt. Du liebſt ihn auch nicht. Das aber geſtehſt Du Dir noch nicht ein und lullſt Dich vielmehr immer tiefer in die Selbſttäuſchung, daß Du ihn lieben müßteſt. Etwas Berechnung iſt indeß auch dabei. Du möchteſt gern
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andern, um hier einen Vortheil zu haben, mit einem
kleinen Einſatz ſpeculiren ſie auf einen großen Treffer.
Auch ſie Thoren! Sie täuſchen ſich immer in dieſer
Berechnung; wenn die Undankbarkeit des Geſchöpfes
ſie längſt belehrt haben ſollte, hegen ſie dafür noch
immer ein Intereſſe und meinen in einer Art ſtillen
Wahnſinns, ihr Geſchöpf werde doch noch ein Mal in
ſich gehen, und es ihnen lohnen, was ſie dafür gethan.“
Die Geheimräthin hielt einen Augenblick inne,
es ſchien, als wolle ſie ſich an der Wirkung ihrer
Rede erfreuen; aber Adelheid ſtand wie ein Steinbild
vor ihr. Darauf hatte ſie nichts zu ſagen. Dann
fuhr ſie fort: „Ueber dieſe Illuſion, mein Kind, bin
ich wenigſtens längſt hinaus. Auch Du ſtehſt auf
einem Wendepunkt. Du biſt ſelbſt ſo klug, daß Du
fühlſt, wie Dein Herr van Aſten eben nur that was
ein geſchickter Lehrer ſoll, den man dafür bezahlt.
Er erkannte Dein Talent, und führte Dich auf den
rechten Weg. Du hätteſt ihn, auch ohne Walter,
vielleicht ſpäter, vielleicht beſſer gefunden. Deine
Bildung iſt nicht ſein Werk, und noch weniger biſt
Du ſein Geſchöpf. Das ſiehſt Du jetzt mit jedem
Tage mehr ein, und um deswillen fängſt Du Dich
an zu ſchämen über das Uebermaaß von Dankbarkeit,
mit dem Du Dich ihm in die Arme warfſt. Du
liebſt ihn auch nicht. Das aber geſtehſt Du Dir noch
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/224>, abgerufen am 21.11.2024.
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