auf der Potsdamer Chaussee davon gekommen, rief sein Ungeschick heute auf der Charlottenburger die exemplarische Strafe hervor, welche der Haus¬ hofmeister ihm dictirt. Auf Ordnung muß ein Herr und eine Herrin im Hause halten. Es war die Ordnung, daß der dienstvergessene Leibeigne von zweien andern eine Lection empfing, deren Maaß nur unsere Begriffe und die Kraft unsrer Nerven übersteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um nach Handhabung der Ordnung zu sehen, verstieß nicht absolut gegen die Sitte. Nur daß sie, mit ver¬ schränkten Armen an der Kellerthür stehend, so lange zusehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu zücken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleischten ein Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthüm¬ liches Lächeln schweben konnte, während ein selt¬ samer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn wie vor Freude sich röthete, das mußte einen be¬ sondern Grund haben.
Es hatte auch einen. In Gedanken versunken, in Phantasieen, die sie interessiren mußten, schien sie eigentlich, was geschah, vergessen zu haben. Sie hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der Ukraine übersehen, der einen Augenblick inne hielt, in der Meinung, es sei genug. Ein Sklave darf keine Meinung haben; als sie nicht gewinkt, fuhr er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen.
auf der Potsdamer Chauſſee davon gekommen, rief ſein Ungeſchick heute auf der Charlottenburger die exemplariſche Strafe hervor, welche der Haus¬ hofmeiſter ihm dictirt. Auf Ordnung muß ein Herr und eine Herrin im Hauſe halten. Es war die Ordnung, daß der dienſtvergeſſene Leibeigne von zweien andern eine Lection empfing, deren Maaß nur unſere Begriffe und die Kraft unſrer Nerven überſteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um nach Handhabung der Ordnung zu ſehen, verſtieß nicht abſolut gegen die Sitte. Nur daß ſie, mit ver¬ ſchränkten Armen an der Kellerthür ſtehend, ſo lange zuſehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu zücken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleiſchten ein Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthüm¬ liches Lächeln ſchweben konnte, während ein ſelt¬ ſamer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn wie vor Freude ſich röthete, das mußte einen be¬ ſondern Grund haben.
Es hatte auch einen. In Gedanken verſunken, in Phantaſieen, die ſie intereſſiren mußten, ſchien ſie eigentlich, was geſchah, vergeſſen zu haben. Sie hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der Ukraine überſehen, der einen Augenblick inne hielt, in der Meinung, es ſei genug. Ein Sklave darf keine Meinung haben; als ſie nicht gewinkt, fuhr er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen.
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auf der Potsdamer Chauſſee davon gekommen,
rief ſein Ungeſchick heute auf der Charlottenburger
die exemplariſche Strafe hervor, welche der Haus¬
hofmeiſter ihm dictirt. Auf Ordnung muß ein
Herr und eine Herrin im Hauſe halten. Es war die
Ordnung, daß der dienſtvergeſſene Leibeigne von
zweien andern eine Lection empfing, deren Maaß
nur unſere Begriffe und die Kraft unſrer Nerven
überſteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um
nach Handhabung der Ordnung zu ſehen, verſtieß
nicht abſolut gegen die Sitte. Nur daß ſie, mit ver¬
ſchränkten Armen an der Kellerthür ſtehend, ſo lange
zuſehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu
zücken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleiſchten ein
Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthüm¬
liches Lächeln ſchweben konnte, während ein ſelt¬
ſamer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn
wie vor Freude ſich röthete, das mußte einen be¬
ſondern Grund haben.
Es hatte auch einen. In Gedanken verſunken,
in Phantaſieen, die ſie intereſſiren mußten, ſchien ſie
eigentlich, was geſchah, vergeſſen zu haben. Sie
hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der
Ukraine überſehen, der einen Augenblick inne hielt,
in der Meinung, es ſei genug. Ein Sklave darf
keine Meinung haben; als ſie nicht gewinkt, fuhr
er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die
Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück
waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/100>, abgerufen am 21.11.2024.
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