Das war dem glänzenden Gesellschaftsabend vorangegangen.
Es war noch etwas Anderes vorangegangen -- im Souterrain des Hauses.
Wer die liebenswürdige Wirthin sah, wie sie mit mädchenhafter Grazie den Gästen entgegeneilte, und über das unerwartete Erscheinen von dem und jenem fast kindlich erfreut schien, konnte an der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln! "Wenn sie es auch nicht so meint, ist es doch angenehm, daß sie es so zeigt!" Aber er konnte nicht ahnen, wie diese Augen, aus denen Wohlwollen und Güte blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schau¬ spiel, ich sage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmlos, stier. Auch das paßte nicht, vielleicht mit der Wollust eines gesättigten Raubthiers, das seines Opfers Blut fließen sieht.
Der Kutscher hatte es allerdings verdient. Mit einer milderen Züchtigung wegen des ersten Unfalls
Sechstes Kapitel. Die Wolluſt der Märtyrer.
Das war dem glänzenden Geſellſchaftsabend vorangegangen.
Es war noch etwas Anderes vorangegangen — im Souterrain des Hauſes.
Wer die liebenswürdige Wirthin ſah, wie ſie mit mädchenhafter Grazie den Gäſten entgegeneilte, und über das unerwartete Erſcheinen von dem und jenem faſt kindlich erfreut ſchien, konnte an der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln! „Wenn ſie es auch nicht ſo meint, iſt es doch angenehm, daß ſie es ſo zeigt!“ Aber er konnte nicht ahnen, wie dieſe Augen, aus denen Wohlwollen und Güte blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schau¬ ſpiel, ich ſage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmlos, ſtier. Auch das paßte nicht, vielleicht mit der Wolluſt eines geſättigten Raubthiers, das ſeines Opfers Blut fließen ſieht.
Der Kutſcher hatte es allerdings verdient. Mit einer milderen Züchtigung wegen des erſten Unfalls
<TEI><text><body><pbfacs="#f0099"n="[89]"/><divn="1"><head>Sechstes Kapitel.<lb/><hirendition="#b">Die Wolluſt der Märtyrer.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Das war dem glänzenden Geſellſchaftsabend<lb/>
vorangegangen.</p><lb/><p>Es war noch etwas Anderes vorangegangen —<lb/>
im Souterrain des Hauſes.</p><lb/><p>Wer die liebenswürdige Wirthin ſah, wie ſie<lb/>
mit mädchenhafter Grazie den Gäſten entgegeneilte,<lb/>
und über das unerwartete Erſcheinen von dem und<lb/>
jenem faſt kindlich erfreut ſchien, konnte an der<lb/>
Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln! „Wenn<lb/>ſie es auch nicht ſo meint, iſt es doch angenehm,<lb/>
daß ſie es ſo zeigt!“ Aber er konnte nicht ahnen,<lb/>
wie dieſe Augen, aus denen Wohlwollen und Güte<lb/>
blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schau¬<lb/>ſpiel, ich ſage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmlos,<lb/>ſtier. Auch das paßte nicht, vielleicht mit der Wolluſt<lb/>
eines geſättigten Raubthiers, das ſeines Opfers<lb/>
Blut fließen ſieht.</p><lb/><p>Der Kutſcher hatte es allerdings verdient. Mit<lb/>
einer milderen Züchtigung wegen des erſten Unfalls<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[89]/0099]
Sechstes Kapitel.
Die Wolluſt der Märtyrer.
Das war dem glänzenden Geſellſchaftsabend
vorangegangen.
Es war noch etwas Anderes vorangegangen —
im Souterrain des Hauſes.
Wer die liebenswürdige Wirthin ſah, wie ſie
mit mädchenhafter Grazie den Gäſten entgegeneilte,
und über das unerwartete Erſcheinen von dem und
jenem faſt kindlich erfreut ſchien, konnte an der
Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln! „Wenn
ſie es auch nicht ſo meint, iſt es doch angenehm,
daß ſie es ſo zeigt!“ Aber er konnte nicht ahnen,
wie dieſe Augen, aus denen Wohlwollen und Güte
blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schau¬
ſpiel, ich ſage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmlos,
ſtier. Auch das paßte nicht, vielleicht mit der Wolluſt
eines geſättigten Raubthiers, das ſeines Opfers
Blut fließen ſieht.
Der Kutſcher hatte es allerdings verdient. Mit
einer milderen Züchtigung wegen des erſten Unfalls
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. [89]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/99>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.