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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Acht gegeben. Er hatte mit seinen Augen einen Punkt
fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürstin am
Handgelenk:

"Ein Blutfleck!"

Der Aermel ihres Mousselinekleides trug unver¬
kennbar die Spuren eines darauf gesprützten Tropfens.

"Ich habe es wirklich nicht gesehen."

"Aber Andere werden es sehen. Um des Him¬
mels willen wechseln Sie das Kleid, ehe es Jemand
bemerkt. Adelheid --"

"Interessiren Sie sich so für das Mädchen?"
sprach die Fürstin, der die Unterbrechung nicht uner¬
wünscht zu kommen schien, indem sie den befleckten
Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigner
Ton, in dem sie fragte, der baare Gegensatz zu dem
Affecte, in welchem das Vorige gesprochen war.

"Nicht im geringsten. Ich interessire mich für
den Gegenstand, der Ihr Interesse erregt hat. Da
ich Ihre Absichten ahne, muß ich wünschen, daß jeder
Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der
Unschuld trüben dürfte, entfernt würde."

Sie sah ihn scharf an: "Sie sind die Uninteressirt¬
heit selbst. Und doch -- zuweilen fällt vor meinem
Auge Ihre schöne Hülle ab wie Staub und Moder,
und das nackte Gerippe starrt mir entgegen; das
Herz von chemischen Agenzien zernagt. Aber glauben
Sie nicht, daß ich erschrecke. Ich betrachte gern die
Natur in ihrem geheimsten Schöpfungsprozeß, wie
sie ihr Schönstes und Bestes muthwillig selbst ver¬

7*

Acht gegeben. Er hatte mit ſeinen Augen einen Punkt
fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürſtin am
Handgelenk:

„Ein Blutfleck!“

Der Aermel ihres Mouſſelinekleides trug unver¬
kennbar die Spuren eines darauf geſprützten Tropfens.

„Ich habe es wirklich nicht geſehen.“

„Aber Andere werden es ſehen. Um des Him¬
mels willen wechſeln Sie das Kleid, ehe es Jemand
bemerkt. Adelheid —“

„Intereſſiren Sie ſich ſo für das Mädchen?“
ſprach die Fürſtin, der die Unterbrechung nicht uner¬
wünſcht zu kommen ſchien, indem ſie den befleckten
Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigner
Ton, in dem ſie fragte, der baare Gegenſatz zu dem
Affecte, in welchem das Vorige geſprochen war.

„Nicht im geringſten. Ich intereſſire mich für
den Gegenſtand, der Ihr Intereſſe erregt hat. Da
ich Ihre Abſichten ahne, muß ich wünſchen, daß jeder
Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der
Unſchuld trüben dürfte, entfernt würde.“

Sie ſah ihn ſcharf an: „Sie ſind die Unintereſſirt¬
heit ſelbſt. Und doch — zuweilen fällt vor meinem
Auge Ihre ſchöne Hülle ab wie Staub und Moder,
und das nackte Gerippe ſtarrt mir entgegen; das
Herz von chemiſchen Agenzien zernagt. Aber glauben
Sie nicht, daß ich erſchrecke. Ich betrachte gern die
Natur in ihrem geheimſten Schöpfungsprozeß, wie
ſie ihr Schönſtes und Beſtes muthwillig ſelbſt ver¬

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[99/0109] Acht gegeben. Er hatte mit ſeinen Augen einen Punkt fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürſtin am Handgelenk: „Ein Blutfleck!“ Der Aermel ihres Mouſſelinekleides trug unver¬ kennbar die Spuren eines darauf geſprützten Tropfens. „Ich habe es wirklich nicht geſehen.“ „Aber Andere werden es ſehen. Um des Him¬ mels willen wechſeln Sie das Kleid, ehe es Jemand bemerkt. Adelheid —“ „Intereſſiren Sie ſich ſo für das Mädchen?“ ſprach die Fürſtin, der die Unterbrechung nicht uner¬ wünſcht zu kommen ſchien, indem ſie den befleckten Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigner Ton, in dem ſie fragte, der baare Gegenſatz zu dem Affecte, in welchem das Vorige geſprochen war. „Nicht im geringſten. Ich intereſſire mich für den Gegenſtand, der Ihr Intereſſe erregt hat. Da ich Ihre Abſichten ahne, muß ich wünſchen, daß jeder Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der Unſchuld trüben dürfte, entfernt würde.“ Sie ſah ihn ſcharf an: „Sie ſind die Unintereſſirt¬ heit ſelbſt. Und doch — zuweilen fällt vor meinem Auge Ihre ſchöne Hülle ab wie Staub und Moder, und das nackte Gerippe ſtarrt mir entgegen; das Herz von chemiſchen Agenzien zernagt. Aber glauben Sie nicht, daß ich erſchrecke. Ich betrachte gern die Natur in ihrem geheimſten Schöpfungsprozeß, wie ſie ihr Schönſtes und Beſtes muthwillig ſelbſt ver¬ 7*

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/109>, abgerufen am 21.11.2024.