Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wenn ich Ihnen sagte, daß er darum weiß,
wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther
werden, lieber -- scheiden."

Er hatte sich halb umgewandt, um rasch die
Hand der Geheimräthin zu ergreifen: "Leben Sie
wohl," lispelte er.

"Nur Eines, -- ist Ihr Leben in Gefahr?"

"Noch nicht, aber -- Gütiger Gott! Die pein¬
liche Erwartung einer Entscheidung, in der ich täglich
schwebe, verschließt mir die Lippen, wenn ich sie öffnen
müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬
mand, Sie am wenigsten an. Im Gegentheil, Sie
haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht schen¬
ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner,
der die Pflicht hatte zu sprechen, und wenn er den
Mund öffnen sollte, ihn verschließt, als kaltherzigen
Intriguanten, der mit den Gefühlen spielt, der edle
Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben
Recht, aber -- wenn es vorbei ist, widmen Sie mir
eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß
ich nicht anders handeln durfte."

"Wandel! sie hielt inne -- Wann, -- wann
kommt die Entscheidung?"

"In einer Woche, vierzehn Tage -- höchstens
ein Monat, wenn aus Warschau --"

"Aus Warschau?"

"Ich betheure Ihnen, es ist nur eine Vorsichts¬
maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie so oft,
in Luft und Wind."

„Wenn ich Ihnen ſagte, daß er darum weiß,
wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther
werden, lieber — ſcheiden.“

Er hatte ſich halb umgewandt, um raſch die
Hand der Geheimräthin zu ergreifen: „Leben Sie
wohl,“ liſpelte er.

„Nur Eines, — iſt Ihr Leben in Gefahr?“

„Noch nicht, aber — Gütiger Gott! Die pein¬
liche Erwartung einer Entſcheidung, in der ich täglich
ſchwebe, verſchließt mir die Lippen, wenn ich ſie öffnen
müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬
mand, Sie am wenigſten an. Im Gegentheil, Sie
haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht ſchen¬
ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner,
der die Pflicht hatte zu ſprechen, und wenn er den
Mund öffnen ſollte, ihn verſchließt, als kaltherzigen
Intriguanten, der mit den Gefühlen ſpielt, der edle
Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben
Recht, aber — wenn es vorbei iſt, widmen Sie mir
eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß
ich nicht anders handeln durfte.“

„Wandel! ſie hielt inne — Wann, — wann
kommt die Entſcheidung?“

„In einer Woche, vierzehn Tage — höchſtens
ein Monat, wenn aus Warſchau —“

„Aus Warſchau?“

„Ich betheure Ihnen, es iſt nur eine Vorſichts¬
maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie ſo oft,
in Luft und Wind.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0156" n="146"/>
        <p>&#x201E;Wenn ich Ihnen &#x017F;agte, daß er darum weiß,<lb/>
wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther<lb/>
werden, lieber &#x2014; &#x017F;cheiden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er hatte &#x017F;ich halb umgewandt, um ra&#x017F;ch die<lb/>
Hand der Geheimräthin zu ergreifen: &#x201E;Leben Sie<lb/>
wohl,&#x201C; li&#x017F;pelte er.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nur Eines, &#x2014; i&#x017F;t Ihr Leben in Gefahr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Noch nicht, aber &#x2014; Gütiger Gott! Die pein¬<lb/>
liche Erwartung einer Ent&#x017F;cheidung, in der ich täglich<lb/>
&#x017F;chwebe, ver&#x017F;chließt mir die Lippen, wenn ich &#x017F;ie öffnen<lb/>
müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬<lb/>
mand, Sie am wenig&#x017F;ten an. Im Gegentheil, Sie<lb/>
haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht &#x017F;chen¬<lb/>
ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner,<lb/>
der die Pflicht hatte zu &#x017F;prechen, und wenn er den<lb/>
Mund öffnen &#x017F;ollte, ihn ver&#x017F;chließt, als kaltherzigen<lb/>
Intriguanten, der mit den Gefühlen &#x017F;pielt, der edle<lb/>
Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben<lb/>
Recht, aber &#x2014; wenn es vorbei i&#x017F;t, widmen Sie mir<lb/>
eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß<lb/>
ich nicht anders handeln durfte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wandel! &#x017F;ie hielt inne &#x2014; Wann, &#x2014; wann<lb/>
kommt die Ent&#x017F;cheidung?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;In einer Woche, vierzehn Tage &#x2014; höch&#x017F;tens<lb/>
ein Monat, wenn aus War&#x017F;chau &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aus War&#x017F;chau?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich betheure Ihnen, es i&#x017F;t nur eine Vor&#x017F;ichts¬<lb/>
maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie &#x017F;o oft,<lb/>
in Luft und Wind.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0156] „Wenn ich Ihnen ſagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber — ſcheiden.“ Er hatte ſich halb umgewandt, um raſch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: „Leben Sie wohl,“ liſpelte er. „Nur Eines, — iſt Ihr Leben in Gefahr?“ „Noch nicht, aber — Gütiger Gott! Die pein¬ liche Erwartung einer Entſcheidung, in der ich täglich ſchwebe, verſchließt mir die Lippen, wenn ich ſie öffnen müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬ mand, Sie am wenigſten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht ſchen¬ ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu ſprechen, und wenn er den Mund öffnen ſollte, ihn verſchließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen ſpielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht, aber — wenn es vorbei iſt, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte.“ „Wandel! ſie hielt inne — Wann, — wann kommt die Entſcheidung?“ „In einer Woche, vierzehn Tage — höchſtens ein Monat, wenn aus Warſchau —“ „Aus Warſchau?“ „Ich betheure Ihnen, es iſt nur eine Vorſichts¬ maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie ſo oft, in Luft und Wind.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/156
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/156>, abgerufen am 21.11.2024.