die Kronen von Frankreich und England auf eines, sein Haupt gesetzt, hätten Sie sich genügen lassen mit einem kleinen Walliser Reich, oder Pic¬ tenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr schöner germanischer Staat, wenn der Nationalsinn kein Herz mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfin¬ gen. Uns hat man die Adern unterbunden, seit Jahrhunderten das Blut abgezapft und in andre Ka¬ näle es zu leiten gesucht, und doch wallt und strömt es immer wieder nach dem Herzen hin. Es sucht es, und kann's nicht finden, das ist seine Qual, aber es muß, es wird es wieder finden, oder -- der deutsche Name ist ausgestrichen aus der Geschichte."
"Und in England, wollten Sie sagen, fuhr der Britte, ohne aus seiner Gelassenheit zu kommen, fort, als der Minister plötzlich inne hielt, daß die getrennten Stämme dies Herz erst gefunden haben. Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künstlicher Prozeß. Die Fusion des Blutes ist hergestellt, aber der Stempel darauf ist das Interesse. Das sollten Sie doch nicht vergessen, Sie lesen es ja auch in allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir dürfen uns nicht darüber täuschen, es ist das In¬ teresse, was uns zusammenfügte und hält, ein Band, das Napoleon durch seine Continentalpolitik täglich fester macht. Aber wenn wir sehen, daß die Conti¬ nentalmächte, in deren Interesse es lag, mit unserm zu gehen, ihr eignes vergessen, wenn wir sie schwan¬ ken sehen von einem Tage zum andern, ihre Ent¬
die Kronen von Frankreich und England auf eines, ſein Haupt geſetzt, hätten Sie ſich genügen laſſen mit einem kleinen Walliſer Reich, oder Pic¬ tenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr ſchöner germaniſcher Staat, wenn der Nationalſinn kein Herz mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfin¬ gen. Uns hat man die Adern unterbunden, ſeit Jahrhunderten das Blut abgezapft und in andre Ka¬ näle es zu leiten geſucht, und doch wallt und ſtrömt es immer wieder nach dem Herzen hin. Es ſucht es, und kann's nicht finden, das iſt ſeine Qual, aber es muß, es wird es wieder finden, oder — der deutſche Name iſt ausgeſtrichen aus der Geſchichte.“
„Und in England, wollten Sie ſagen, fuhr der Britte, ohne aus ſeiner Gelaſſenheit zu kommen, fort, als der Miniſter plötzlich inne hielt, daß die getrennten Stämme dies Herz erſt gefunden haben. Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künſtlicher Prozeß. Die Fuſion des Blutes iſt hergeſtellt, aber der Stempel darauf iſt das Intereſſe. Das ſollten Sie doch nicht vergeſſen, Sie leſen es ja auch in allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir dürfen uns nicht darüber täuſchen, es iſt das In¬ tereſſe, was uns zuſammenfügte und hält, ein Band, das Napoleon durch ſeine Continentalpolitik täglich feſter macht. Aber wenn wir ſehen, daß die Conti¬ nentalmächte, in deren Intereſſe es lag, mit unſerm zu gehen, ihr eignes vergeſſen, wenn wir ſie ſchwan¬ ken ſehen von einem Tage zum andern, ihre Ent¬
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die Kronen von Frankreich und England auf
eines, ſein Haupt geſetzt, hätten Sie ſich genügen
laſſen mit einem kleinen Walliſer Reich, oder Pic¬
tenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr ſchöner
germaniſcher Staat, wenn der Nationalſinn kein Herz
mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfin¬
gen. Uns hat man die Adern unterbunden, ſeit
Jahrhunderten das Blut abgezapft und in andre Ka¬
näle es zu leiten geſucht, und doch wallt und ſtrömt es
immer wieder nach dem Herzen hin. Es ſucht es,
und kann's nicht finden, das iſt ſeine Qual, aber
es muß, es wird es wieder finden, oder — der
deutſche Name iſt ausgeſtrichen aus der Geſchichte.“
„Und in England, wollten Sie ſagen, fuhr der
Britte, ohne aus ſeiner Gelaſſenheit zu kommen,
fort, als der Miniſter plötzlich inne hielt, daß die
getrennten Stämme dies Herz erſt gefunden haben.
Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künſtlicher
Prozeß. Die Fuſion des Blutes iſt hergeſtellt, aber
der Stempel darauf iſt das Intereſſe. Das ſollten
Sie doch nicht vergeſſen, Sie leſen es ja auch in
allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir
dürfen uns nicht darüber täuſchen, es iſt das In¬
tereſſe, was uns zuſammenfügte und hält, ein Band,
das Napoleon durch ſeine Continentalpolitik täglich
feſter macht. Aber wenn wir ſehen, daß die Conti¬
nentalmächte, in deren Intereſſe es lag, mit unſerm
zu gehen, ihr eignes vergeſſen, wenn wir ſie ſchwan¬
ken ſehen von einem Tage zum andern, ihre Ent¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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