Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber, Louis, Du bist ein Mann. Ein Mann
muß lieben oder hassen; in wetterschweren Zei¬
ten darf er nicht die Hände in den Schooß legen,
abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du
darfst nicht unter die Alltagsmenschen versinken. Dein
edles Selbst darf nicht untergehen in dem Schwarm,
den Du verachtest; nein, aufrichten sollst Du Dich,
stärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unent¬
schiedenheit das Elend über uns gebracht. Du mußt
Dich entscheiden; hast Du gewählt, o dann wird der
Funke wieder sprühen, er wird Dich drängen zum
Handeln. Wo Du wählst, ich folge Dir."

Er hielt seine Hand auf ihre Stirn: "Wäre ich
Sachse gewesen, und hätte den großen Karl bewun¬
dert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk
streiten könnte."

Ihr Auge blickte ihn freudig an.

"In dieser Luft bin ich, sind meine Väter ge¬
boren, in diesen Sitten, Gewohnheiten sogen sie
das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben
ein Vaterland, und es hat uns erworben. Ich hätte
in den Reihen der Sachsen gestritten, Adelheid, auch
wenn ich gewußt, daß Karl sie zertreten mußte."

Sie hatte gesiegt, er war wieder gewonnen, dop¬
pelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit,
die Feder und Farbe umsonst zu malen versuchen.
Die Morgenluft wehte schon frisch in's Zimmer, als
sie die Balconthür öffneten, die ersten Vögel erhoben
ihre zwitschernden Stimmen in den dunkeln Gebüschen

„Aber, Louis, Du biſt ein Mann. Ein Mann
muß lieben oder haſſen; in wetterſchweren Zei¬
ten darf er nicht die Hände in den Schooß legen,
abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du
darfſt nicht unter die Alltagsmenſchen verſinken. Dein
edles Selbſt darf nicht untergehen in dem Schwarm,
den Du verachteſt; nein, aufrichten ſollſt Du Dich,
ſtärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unent¬
ſchiedenheit das Elend über uns gebracht. Du mußt
Dich entſcheiden; haſt Du gewählt, o dann wird der
Funke wieder ſprühen, er wird Dich drängen zum
Handeln. Wo Du wählſt, ich folge Dir.“

Er hielt ſeine Hand auf ihre Stirn: „Wäre ich
Sachſe geweſen, und hätte den großen Karl bewun¬
dert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk
ſtreiten könnte.“

Ihr Auge blickte ihn freudig an.

„In dieſer Luft bin ich, ſind meine Väter ge¬
boren, in dieſen Sitten, Gewohnheiten ſogen ſie
das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben
ein Vaterland, und es hat uns erworben. Ich hätte
in den Reihen der Sachſen geſtritten, Adelheid, auch
wenn ich gewußt, daß Karl ſie zertreten mußte.“

Sie hatte geſiegt, er war wieder gewonnen, dop¬
pelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit,
die Feder und Farbe umſonſt zu malen verſuchen.
Die Morgenluft wehte ſchon friſch in's Zimmer, als
ſie die Balconthür öffneten, die erſten Vögel erhoben
ihre zwitſchernden Stimmen in den dunkeln Gebüſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0303" n="293"/>
        <p>&#x201E;Aber, Louis, Du bi&#x017F;t ein Mann. Ein Mann<lb/>
muß lieben oder ha&#x017F;&#x017F;en; in wetter&#x017F;chweren Zei¬<lb/>
ten darf er nicht die Hände in den Schooß legen,<lb/>
abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du<lb/>
darf&#x017F;t nicht unter die Alltagsmen&#x017F;chen ver&#x017F;inken. Dein<lb/>
edles Selb&#x017F;t darf nicht untergehen in dem Schwarm,<lb/>
den Du verachte&#x017F;t; nein, aufrichten &#x017F;oll&#x017F;t Du Dich,<lb/>
&#x017F;tärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unent¬<lb/>
&#x017F;chiedenheit das Elend über uns gebracht. Du mußt<lb/>
Dich ent&#x017F;cheiden; ha&#x017F;t Du gewählt, o dann wird der<lb/>
Funke wieder &#x017F;prühen, er wird Dich drängen zum<lb/>
Handeln. Wo Du wähl&#x017F;t, ich folge Dir.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er hielt &#x017F;eine Hand auf ihre Stirn: &#x201E;Wäre ich<lb/>
Sach&#x017F;e gewe&#x017F;en, und hätte den großen Karl bewun¬<lb/>
dert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk<lb/>
&#x017F;treiten könnte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ihr Auge blickte ihn freudig an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;In die&#x017F;er Luft bin ich, &#x017F;ind meine Väter ge¬<lb/>
boren, in die&#x017F;en Sitten, Gewohnheiten &#x017F;ogen &#x017F;ie<lb/>
das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben<lb/>
ein Vaterland, und es hat <hi rendition="#g">uns</hi> erworben. Ich hätte<lb/>
in den Reihen der Sach&#x017F;en ge&#x017F;tritten, Adelheid, auch<lb/>
wenn ich gewußt, daß Karl &#x017F;ie zertreten mußte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie hatte ge&#x017F;iegt, er war wieder gewonnen, dop¬<lb/>
pelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit,<lb/>
die Feder und Farbe um&#x017F;on&#x017F;t zu malen ver&#x017F;uchen.<lb/>
Die Morgenluft wehte &#x017F;chon fri&#x017F;ch in's Zimmer, als<lb/>
&#x017F;ie die Balconthür öffneten, die er&#x017F;ten Vögel erhoben<lb/>
ihre zwit&#x017F;chernden Stimmen in den dunkeln Gebü&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0303] „Aber, Louis, Du biſt ein Mann. Ein Mann muß lieben oder haſſen; in wetterſchweren Zei¬ ten darf er nicht die Hände in den Schooß legen, abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du darfſt nicht unter die Alltagsmenſchen verſinken. Dein edles Selbſt darf nicht untergehen in dem Schwarm, den Du verachteſt; nein, aufrichten ſollſt Du Dich, ſtärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unent¬ ſchiedenheit das Elend über uns gebracht. Du mußt Dich entſcheiden; haſt Du gewählt, o dann wird der Funke wieder ſprühen, er wird Dich drängen zum Handeln. Wo Du wählſt, ich folge Dir.“ Er hielt ſeine Hand auf ihre Stirn: „Wäre ich Sachſe geweſen, und hätte den großen Karl bewun¬ dert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk ſtreiten könnte.“ Ihr Auge blickte ihn freudig an. „In dieſer Luft bin ich, ſind meine Väter ge¬ boren, in dieſen Sitten, Gewohnheiten ſogen ſie das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben ein Vaterland, und es hat uns erworben. Ich hätte in den Reihen der Sachſen geſtritten, Adelheid, auch wenn ich gewußt, daß Karl ſie zertreten mußte.“ Sie hatte geſiegt, er war wieder gewonnen, dop¬ pelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit, die Feder und Farbe umſonſt zu malen verſuchen. Die Morgenluft wehte ſchon friſch in's Zimmer, als ſie die Balconthür öffneten, die erſten Vögel erhoben ihre zwitſchernden Stimmen in den dunkeln Gebüſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/303
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/303>, abgerufen am 24.11.2024.