Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

entwickeln, um das ganze Kammergericht, vom Prä¬
sidenten bis zum letzten Nuntius, damit zu verge¬
ben. Da würden manche Leute triumphiren, die
immer gesagt, daß in den Büchern Gift steckt! -- Au
revoir!"

"Aber im Magen des Dieners stak positiv ein
starker Arseniksatz. Wie erklären Sie das?"

Wandel verbeugte sich: "Gar nicht; wo das Mähr¬
chen anfängt, kriecht die Vernunft in ihr Schnecken¬
haus. Wenn der Mährchendichter ein Motiv erfin¬
det, warum die Lupinus ihren Hausknecht vergiften
mußte, um ihn los zu werden, wo es ganz einfach
bei ihr stand, ihn fortzujagen, wenn er ihr nicht
mehr gefiel, wird sie auch ein Motiv dafür finden,
warum sie dem Hausknecht bei einem Dejeuner Trüf¬
felwürste servirte. Mein Verstand steht still, ich weiß
aus dem Mährchen keine andre Moral zu ziehen,
als daß ein Hausknecht von einer Geheimräthin sich
nicht mit Trüffelwürsten muß traktiren lassen."

Er hatte schon vorhin Hut und Stock genom¬
men, und drückte jetzt dem Rath die Hand: "Ich
spreche Ihnen nochmals meinen Dank aus für die
Beruhigung, welche die Unterhaltung dieser Stunde
mir verschafft hat. Moral! Moral ist das Losungs¬
wort jetzt. Ist das Moral, daß ein Publikum, wel¬
ches diese Frau bis dahin vergötterte, auf solchen
Argwohn hin sie sofort für schuldig erklärt und als
Scheusal verdammt? Wenn auch sonst Alles bei
uns wankt, konnten sie doch auf die Unbestech¬

entwickeln, um das ganze Kammergericht, vom Prä¬
ſidenten bis zum letzten Nuntius, damit zu verge¬
ben. Da würden manche Leute triumphiren, die
immer geſagt, daß in den Büchern Gift ſteckt! — Au
revoir!“

„Aber im Magen des Dieners ſtak poſitiv ein
ſtarker Arſenikſatz. Wie erklären Sie das?“

Wandel verbeugte ſich: „Gar nicht; wo das Mähr¬
chen anfängt, kriecht die Vernunft in ihr Schnecken¬
haus. Wenn der Mährchendichter ein Motiv erfin¬
det, warum die Lupinus ihren Hausknecht vergiften
mußte, um ihn los zu werden, wo es ganz einfach
bei ihr ſtand, ihn fortzujagen, wenn er ihr nicht
mehr gefiel, wird ſie auch ein Motiv dafür finden,
warum ſie dem Hausknecht bei einem Dejeuner Trüf¬
felwürſte ſervirte. Mein Verſtand ſteht ſtill, ich weiß
aus dem Mährchen keine andre Moral zu ziehen,
als daß ein Hausknecht von einer Geheimräthin ſich
nicht mit Trüffelwürſten muß traktiren laſſen.“

Er hatte ſchon vorhin Hut und Stock genom¬
men, und drückte jetzt dem Rath die Hand: „Ich
ſpreche Ihnen nochmals meinen Dank aus für die
Beruhigung, welche die Unterhaltung dieſer Stunde
mir verſchafft hat. Moral! Moral iſt das Loſungs¬
wort jetzt. Iſt das Moral, daß ein Publikum, wel¬
ches dieſe Frau bis dahin vergötterte, auf ſolchen
Argwohn hin ſie ſofort für ſchuldig erklärt und als
Scheuſal verdammt? Wenn auch ſonſt Alles bei
uns wankt, konnten ſie doch auf die Unbeſtech¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="203"/>
entwickeln, um das ganze Kammergericht, vom Prä¬<lb/>
&#x017F;identen bis zum letzten Nuntius, damit zu verge¬<lb/>
ben. Da würden manche Leute triumphiren, die<lb/>
immer ge&#x017F;agt, daß in den Büchern Gift &#x017F;teckt! &#x2014; <hi rendition="#aq">Au<lb/>
revoir!&#x201C;</hi></p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber im Magen des Dieners &#x017F;tak po&#x017F;itiv ein<lb/>
&#x017F;tarker Ar&#x017F;enik&#x017F;atz. Wie erklären Sie das?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wandel verbeugte &#x017F;ich: &#x201E;Gar nicht; wo das Mähr¬<lb/>
chen anfängt, kriecht die Vernunft in ihr Schnecken¬<lb/>
haus. Wenn der Mährchendichter ein Motiv erfin¬<lb/>
det, warum die Lupinus ihren Hausknecht vergiften<lb/>
mußte, um ihn los zu werden, wo es ganz einfach<lb/>
bei ihr &#x017F;tand, ihn fortzujagen, wenn er ihr nicht<lb/>
mehr gefiel, wird &#x017F;ie auch ein Motiv dafür finden,<lb/>
warum &#x017F;ie dem Hausknecht bei einem Dejeuner Trüf¬<lb/>
felwür&#x017F;te &#x017F;ervirte. Mein Ver&#x017F;tand &#x017F;teht &#x017F;till, ich weiß<lb/>
aus dem Mährchen keine andre Moral zu ziehen,<lb/>
als daß ein Hausknecht von einer Geheimräthin &#x017F;ich<lb/>
nicht mit Trüffelwür&#x017F;ten muß traktiren la&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er hatte &#x017F;chon vorhin Hut und Stock genom¬<lb/>
men, und drückte jetzt dem Rath die Hand: &#x201E;Ich<lb/>
&#x017F;preche Ihnen nochmals meinen Dank aus für die<lb/>
Beruhigung, welche die Unterhaltung die&#x017F;er Stunde<lb/>
mir ver&#x017F;chafft hat. Moral! Moral i&#x017F;t das Lo&#x017F;ungs¬<lb/>
wort jetzt. I&#x017F;t das Moral, daß ein Publikum, wel¬<lb/>
ches die&#x017F;e Frau bis dahin vergötterte, auf &#x017F;olchen<lb/>
Argwohn hin &#x017F;ie &#x017F;ofort für &#x017F;chuldig erklärt und als<lb/>
Scheu&#x017F;al verdammt? Wenn auch &#x017F;on&#x017F;t Alles bei<lb/>
uns wankt, konnten &#x017F;ie doch auf die Unbe&#x017F;tech¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0213] entwickeln, um das ganze Kammergericht, vom Prä¬ ſidenten bis zum letzten Nuntius, damit zu verge¬ ben. Da würden manche Leute triumphiren, die immer geſagt, daß in den Büchern Gift ſteckt! — Au revoir!“ „Aber im Magen des Dieners ſtak poſitiv ein ſtarker Arſenikſatz. Wie erklären Sie das?“ Wandel verbeugte ſich: „Gar nicht; wo das Mähr¬ chen anfängt, kriecht die Vernunft in ihr Schnecken¬ haus. Wenn der Mährchendichter ein Motiv erfin¬ det, warum die Lupinus ihren Hausknecht vergiften mußte, um ihn los zu werden, wo es ganz einfach bei ihr ſtand, ihn fortzujagen, wenn er ihr nicht mehr gefiel, wird ſie auch ein Motiv dafür finden, warum ſie dem Hausknecht bei einem Dejeuner Trüf¬ felwürſte ſervirte. Mein Verſtand ſteht ſtill, ich weiß aus dem Mährchen keine andre Moral zu ziehen, als daß ein Hausknecht von einer Geheimräthin ſich nicht mit Trüffelwürſten muß traktiren laſſen.“ Er hatte ſchon vorhin Hut und Stock genom¬ men, und drückte jetzt dem Rath die Hand: „Ich ſpreche Ihnen nochmals meinen Dank aus für die Beruhigung, welche die Unterhaltung dieſer Stunde mir verſchafft hat. Moral! Moral iſt das Loſungs¬ wort jetzt. Iſt das Moral, daß ein Publikum, wel¬ ches dieſe Frau bis dahin vergötterte, auf ſolchen Argwohn hin ſie ſofort für ſchuldig erklärt und als Scheuſal verdammt? Wenn auch ſonſt Alles bei uns wankt, konnten ſie doch auf die Unbeſtech¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/213
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/213>, abgerufen am 18.05.2024.