Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

lichkeit, auf den Scharfsinn unsrer Justiz vertrauen.
Die steht doch noch rein, unparteiisch da. Oder wäre
auch dies nicht mehr? Sie konnten ihr Urtheil, bis
sie gesprochen, sparen. Nein, es ist ihre Lust, ihr
Kitzel, zu verurtheilen, und mit einer wahren kani¬
balischen Wollust schwelgen sie darin, das Schlechte
noch schlechter zu malen, das Große in's Ungeheure.
Mein theuerster Regierungsrath, es ist Vieles in
diesem Staate faul, ich stehe vor einem echten Pa¬
trioten, der das mehr als Einer fühlt, aber -- es
ist nicht die Regierung allein, im Volke selbst --
wenn die Menschen aller Stände nur erwerben wol¬
len und vergessen, daß alle Güter der Selbstständig¬
keit und der Nationalehre untergeordnet werden müs¬
sen, wenn ein Volk sein Dasein behaupten will,
wenn ich dies Treiben sehe, dann ist mir oft, als
müsse das Strafgericht vor der Thür stehen -- Und
steht es nicht vielleicht schon da?"

Sein tiefer Blick war nach oben gerichtet. Er
drückte Fuchsius noch einmal die Hand und wollte
hinaus.

"Wohin so eilig?"

"Zu meinem alten Geschäftsfreunde, dem un¬
glücklichen van Asten."

"Es kam ja noch nicht zum Aeußersten."

"Das -- sehn Sie -- das nenne ich gegen die
Moralität!"

"Daß er aus Versehen eine Quantität Waaren
sich verschrieb, die seine Kräfte übersteigt? Der Wein

lichkeit, auf den Scharfſinn unſrer Juſtiz vertrauen.
Die ſteht doch noch rein, unparteiiſch da. Oder wäre
auch dies nicht mehr? Sie konnten ihr Urtheil, bis
ſie geſprochen, ſparen. Nein, es iſt ihre Luſt, ihr
Kitzel, zu verurtheilen, und mit einer wahren kani¬
baliſchen Wolluſt ſchwelgen ſie darin, das Schlechte
noch ſchlechter zu malen, das Große in's Ungeheure.
Mein theuerſter Regierungsrath, es iſt Vieles in
dieſem Staate faul, ich ſtehe vor einem echten Pa¬
trioten, der das mehr als Einer fühlt, aber — es
iſt nicht die Regierung allein, im Volke ſelbſt —
wenn die Menſchen aller Stände nur erwerben wol¬
len und vergeſſen, daß alle Güter der Selbſtſtändig¬
keit und der Nationalehre untergeordnet werden müſ¬
ſen, wenn ein Volk ſein Daſein behaupten will,
wenn ich dies Treiben ſehe, dann iſt mir oft, als
müſſe das Strafgericht vor der Thür ſtehen — Und
ſteht es nicht vielleicht ſchon da?“

Sein tiefer Blick war nach oben gerichtet. Er
drückte Fuchſius noch einmal die Hand und wollte
hinaus.

„Wohin ſo eilig?“

„Zu meinem alten Geſchäftsfreunde, dem un¬
glücklichen van Aſten.“

„Es kam ja noch nicht zum Aeußerſten.“

„Das — ſehn Sie — das nenne ich gegen die
Moralität!“

„Daß er aus Verſehen eine Quantität Waaren
ſich verſchrieb, die ſeine Kräfte überſteigt? Der Wein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="204"/>
lichkeit, auf den Scharf&#x017F;inn un&#x017F;rer Ju&#x017F;tiz vertrauen.<lb/>
Die &#x017F;teht doch noch rein, unparteii&#x017F;ch da. Oder wäre<lb/>
auch dies nicht mehr? Sie konnten ihr Urtheil, bis<lb/>
&#x017F;ie ge&#x017F;prochen, &#x017F;paren. Nein, es i&#x017F;t ihre Lu&#x017F;t, ihr<lb/>
Kitzel, zu verurtheilen, und mit einer wahren kani¬<lb/>
bali&#x017F;chen Wollu&#x017F;t &#x017F;chwelgen &#x017F;ie darin, das Schlechte<lb/>
noch &#x017F;chlechter zu malen, das Große in's Ungeheure.<lb/>
Mein theuer&#x017F;ter Regierungsrath, es i&#x017F;t Vieles in<lb/>
die&#x017F;em Staate faul, ich &#x017F;tehe vor einem echten Pa¬<lb/>
trioten, der das mehr als Einer fühlt, aber &#x2014; es<lb/>
i&#x017F;t nicht die Regierung allein, im Volke &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014;<lb/>
wenn die Men&#x017F;chen aller Stände nur erwerben wol¬<lb/>
len und verge&#x017F;&#x017F;en, daß alle Güter der Selb&#x017F;t&#x017F;tändig¬<lb/>
keit und der Nationalehre untergeordnet werden mü&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en, wenn ein Volk &#x017F;ein Da&#x017F;ein behaupten will,<lb/>
wenn ich dies Treiben &#x017F;ehe, dann i&#x017F;t mir oft, als<lb/>&#x017F;&#x017F;e das Strafgericht vor der Thür &#x017F;tehen &#x2014; Und<lb/>
&#x017F;teht es nicht vielleicht &#x017F;chon da?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sein tiefer Blick war nach oben gerichtet. Er<lb/>
drückte Fuch&#x017F;ius noch einmal die Hand und wollte<lb/>
hinaus.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wohin &#x017F;o eilig?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zu meinem alten Ge&#x017F;chäftsfreunde, dem un¬<lb/>
glücklichen van A&#x017F;ten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es kam ja noch nicht zum Aeußer&#x017F;ten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das &#x2014; &#x017F;ehn Sie &#x2014; das nenne ich gegen die<lb/>
Moralität!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Daß er aus Ver&#x017F;ehen eine Quantität Waaren<lb/>
&#x017F;ich ver&#x017F;chrieb, die &#x017F;eine Kräfte über&#x017F;teigt? Der Wein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0214] lichkeit, auf den Scharfſinn unſrer Juſtiz vertrauen. Die ſteht doch noch rein, unparteiiſch da. Oder wäre auch dies nicht mehr? Sie konnten ihr Urtheil, bis ſie geſprochen, ſparen. Nein, es iſt ihre Luſt, ihr Kitzel, zu verurtheilen, und mit einer wahren kani¬ baliſchen Wolluſt ſchwelgen ſie darin, das Schlechte noch ſchlechter zu malen, das Große in's Ungeheure. Mein theuerſter Regierungsrath, es iſt Vieles in dieſem Staate faul, ich ſtehe vor einem echten Pa¬ trioten, der das mehr als Einer fühlt, aber — es iſt nicht die Regierung allein, im Volke ſelbſt — wenn die Menſchen aller Stände nur erwerben wol¬ len und vergeſſen, daß alle Güter der Selbſtſtändig¬ keit und der Nationalehre untergeordnet werden müſ¬ ſen, wenn ein Volk ſein Daſein behaupten will, wenn ich dies Treiben ſehe, dann iſt mir oft, als müſſe das Strafgericht vor der Thür ſtehen — Und ſteht es nicht vielleicht ſchon da?“ Sein tiefer Blick war nach oben gerichtet. Er drückte Fuchſius noch einmal die Hand und wollte hinaus. „Wohin ſo eilig?“ „Zu meinem alten Geſchäftsfreunde, dem un¬ glücklichen van Aſten.“ „Es kam ja noch nicht zum Aeußerſten.“ „Das — ſehn Sie — das nenne ich gegen die Moralität!“ „Daß er aus Verſehen eine Quantität Waaren ſich verſchrieb, die ſeine Kräfte überſteigt? Der Wein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/214
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/214>, abgerufen am 17.05.2024.