Mehrzahl der Fürsten sind Menschen wie wir. Das Gute und das Böse, das Richtige und das Falsche rollirt in ihnen wie in einem Glücksrad. Da ist es Pflicht der gewissenhaften Räthe, den Augenblick ergreifen, wo das Gute und Richtige oben liegt. Da müssen sie das Rad stille halten, sie müssen es, sage ich, auf die Gefahr hin, daß es sie ergreift und zerdrückt. Trauen sie sich das nicht zu, sollen sie in der Schreiberstube bleiben, oder ihrem Ehrgeiz mit Kammerherrnschlüsseln genügen lassen. -- Wer so dreist ist, da oben stehen zu wollen, hat vor Gott, vor dem Volke, vor seinem König selber die Pflicht, ihm dreist in's Gesicht zu sehen. Nicht seine guten Launen soll er belauschen, um Gefälliges sich und Anderen zu wirken, seine ernsten Augenblicke soll er ihm abstehlen, und wollen sie entfliehen, soll er sie festhalten, mit eisernem Händedruck, er darf die Run¬ zeln des Unmuths nicht sehen, er soll den sprudelnden Zorn nicht achten. Es ist ein anderer Zeuge dann über ihm, über beiden steht ein anderer König, vor dem der Purpur und die Staatsweisheit Plunder sind. -- Und dringt er absolut nicht durch, soll er vor seinem Könige sich neigen und sprechen: "nimm das Amt zurück, das noch rein ist in meinen Händen! Wehe dem, der ein leichter Gewissen hat, es zu be¬ flecken." Das ist ein wahrhaft treuer Diener. Die armen Könige, die keine Männer finden, nur treue Diener wie diese hier! setzte der Minister mit gedämpfter Stimme hinzu und trat, die Arme unter¬
V. 4
Mehrzahl der Fürſten ſind Menſchen wie wir. Das Gute und das Böſe, das Richtige und das Falſche rollirt in ihnen wie in einem Glücksrad. Da iſt es Pflicht der gewiſſenhaften Räthe, den Augenblick ergreifen, wo das Gute und Richtige oben liegt. Da müſſen ſie das Rad ſtille halten, ſie müſſen es, ſage ich, auf die Gefahr hin, daß es ſie ergreift und zerdrückt. Trauen ſie ſich das nicht zu, ſollen ſie in der Schreiberſtube bleiben, oder ihrem Ehrgeiz mit Kammerherrnſchlüſſeln genügen laſſen. — Wer ſo dreiſt iſt, da oben ſtehen zu wollen, hat vor Gott, vor dem Volke, vor ſeinem König ſelber die Pflicht, ihm dreiſt in's Geſicht zu ſehen. Nicht ſeine guten Launen ſoll er belauſchen, um Gefälliges ſich und Anderen zu wirken, ſeine ernſten Augenblicke ſoll er ihm abſtehlen, und wollen ſie entfliehen, ſoll er ſie feſthalten, mit eiſernem Händedruck, er darf die Run¬ zeln des Unmuths nicht ſehen, er ſoll den ſprudelnden Zorn nicht achten. Es iſt ein anderer Zeuge dann über ihm, über beiden ſteht ein anderer König, vor dem der Purpur und die Staatsweisheit Plunder ſind. — Und dringt er abſolut nicht durch, ſoll er vor ſeinem Könige ſich neigen und ſprechen: „nimm das Amt zurück, das noch rein iſt in meinen Händen! Wehe dem, der ein leichter Gewiſſen hat, es zu be¬ flecken.“ Das iſt ein wahrhaft treuer Diener. Die armen Könige, die keine Männer finden, nur treue Diener wie dieſe hier! ſetzte der Miniſter mit gedämpfter Stimme hinzu und trat, die Arme unter¬
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Mehrzahl der Fürſten ſind Menſchen wie wir. Das
Gute und das Böſe, das Richtige und das Falſche
rollirt in ihnen wie in einem Glücksrad. Da iſt es
Pflicht der gewiſſenhaften Räthe, den Augenblick
ergreifen, wo das Gute und Richtige oben liegt.
Da müſſen ſie das Rad ſtille halten, ſie müſſen es,
ſage ich, auf die Gefahr hin, daß es ſie ergreift und
zerdrückt. Trauen ſie ſich das nicht zu, ſollen ſie in
der Schreiberſtube bleiben, oder ihrem Ehrgeiz mit
Kammerherrnſchlüſſeln genügen laſſen. — Wer ſo
dreiſt iſt, da oben ſtehen zu wollen, hat vor Gott,
vor dem Volke, vor ſeinem König ſelber die Pflicht,
ihm dreiſt in's Geſicht zu ſehen. Nicht ſeine guten
Launen ſoll er belauſchen, um Gefälliges ſich und
Anderen zu wirken, ſeine ernſten Augenblicke ſoll er
ihm abſtehlen, und wollen ſie entfliehen, ſoll er ſie
feſthalten, mit eiſernem Händedruck, er darf die Run¬
zeln des Unmuths nicht ſehen, er ſoll den ſprudelnden
Zorn nicht achten. Es iſt ein anderer Zeuge dann
über ihm, über beiden ſteht ein anderer König, vor
dem der Purpur und die Staatsweisheit Plunder
ſind. — Und dringt er abſolut nicht durch, ſoll er
vor ſeinem Könige ſich neigen und ſprechen: „nimm
das Amt zurück, das noch rein iſt in meinen Händen!
Wehe dem, der ein leichter Gewiſſen hat, es zu be¬
flecken.“ Das iſt ein wahrhaft treuer Diener.
Die armen Könige, die keine Männer finden, nur
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/59>, abgerufen am 23.11.2024.
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