Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ein dreimaliger Peitschenschlag auf das Leder des Kutschendeckels antwortete. Nun war der Gefangene beruhigt. Er schlief den übrigen Theil der Nacht. Der Morgenschein drang, als er erwachte, durch die Bretter, mit denen das Kutschenfenster verschlossen war. In einem Korbe auf dem Rücksitz stand, was für ihn zum Frühstück bestimmt schien. Sonst war Alles, wie in der Nacht, der Wagen blieb in Einem Fahren, bald langsam, bald schneller. Durch die Ritzen ließ sich nichts entdecken, kaum ein Streifen des Horizonts. Nur wenn die Aeste am Leder streiften, oder am würzigen Harzgeruch der Kiefern erkannte er, daß es durch einen Wald ging. Befahrnere Wege schien man zu vermeiden, doch hörte er, wie der Wagen über Führen setzte und Brücken passirte. Schnitter auf dem Felde sangen ein esthnisches Lied. Er hatte es wohl schon gehört; noch nie hatten die einfachen Töne ihm indeß so rührend geklungen: Wo im Staub die Räder rollen, Fährt der gnäd'ge Herr von dannen; Möcht' er doch recht lange reisen. Unsre Hände sind voll Schwielen, Und geritzt die heißen Sohlen, Wollt' er doch nicht wieder kehren! Immer heißer brennt die Sonne, Immer trockner schmeckt das Leibbrod, Aerntebier ist immer saurer, Wenn der gnäd'ge Herr uns zusieht. -- Ach! eh' bleibt im Meer die Sonne, Ein dreimaliger Peitschenschlag auf das Leder des Kutschendeckels antwortete. Nun war der Gefangene beruhigt. Er schlief den übrigen Theil der Nacht. Der Morgenschein drang, als er erwachte, durch die Bretter, mit denen das Kutschenfenster verschlossen war. In einem Korbe auf dem Rücksitz stand, was für ihn zum Frühstück bestimmt schien. Sonst war Alles, wie in der Nacht, der Wagen blieb in Einem Fahren, bald langsam, bald schneller. Durch die Ritzen ließ sich nichts entdecken, kaum ein Streifen des Horizonts. Nur wenn die Aeste am Leder streiften, oder am würzigen Harzgeruch der Kiefern erkannte er, daß es durch einen Wald ging. Befahrnere Wege schien man zu vermeiden, doch hörte er, wie der Wagen über Führen setzte und Brücken passirte. Schnitter auf dem Felde sangen ein esthnisches Lied. Er hatte es wohl schon gehört; noch nie hatten die einfachen Töne ihm indeß so rührend geklungen: Wo im Staub die Räder rollen, Fährt der gnäd'ge Herr von dannen; Möcht' er doch recht lange reisen. Unsre Hände sind voll Schwielen, Und geritzt die heißen Sohlen, Wollt' er doch nicht wieder kehren! Immer heißer brennt die Sonne, Immer trockner schmeckt das Leibbrod, Aerntebier ist immer saurer, Wenn der gnäd'ge Herr uns zusieht. — Ach! eh' bleibt im Meer die Sonne, <TEI> <text> <body> <div n="7"> <pb facs="#f0088"/> <p>Ein dreimaliger Peitschenschlag auf das Leder des Kutschendeckels antwortete. Nun war der Gefangene beruhigt. Er schlief den übrigen Theil der Nacht. Der Morgenschein drang, als er erwachte, durch die Bretter, mit denen das Kutschenfenster verschlossen war. In einem Korbe auf dem Rücksitz stand, was für ihn zum Frühstück bestimmt schien. Sonst war Alles, wie in der Nacht, der Wagen blieb in Einem Fahren, bald langsam, bald schneller. Durch die Ritzen ließ sich nichts entdecken, kaum ein Streifen des Horizonts. Nur wenn die Aeste am Leder streiften, oder am würzigen Harzgeruch der Kiefern erkannte er, daß es durch einen Wald ging. Befahrnere Wege schien man zu vermeiden, doch hörte er, wie der Wagen über Führen setzte und Brücken passirte.</p><lb/> <p>Schnitter auf dem Felde sangen ein esthnisches Lied. Er hatte es wohl schon gehört; noch nie hatten die einfachen Töne ihm indeß so rührend geklungen:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Wo im Staub die Räder rollen,</l><lb/> <l>Fährt der gnäd'ge Herr von dannen;</l><lb/> <l>Möcht' er doch recht lange reisen.</l><lb/> <l>Unsre Hände sind voll Schwielen,</l><lb/> <l>Und geritzt die heißen Sohlen,</l><lb/> <l>Wollt' er doch nicht wieder kehren!</l><lb/> <l>Immer heißer brennt die Sonne,</l><lb/> <l>Immer trockner schmeckt das Leibbrod,</l><lb/> <l>Aerntebier ist immer saurer,</l><lb/> <l>Wenn der gnäd'ge Herr uns zusieht. —</l><lb/> <l>Ach! eh' bleibt im Meer die Sonne,</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
Ein dreimaliger Peitschenschlag auf das Leder des Kutschendeckels antwortete. Nun war der Gefangene beruhigt. Er schlief den übrigen Theil der Nacht. Der Morgenschein drang, als er erwachte, durch die Bretter, mit denen das Kutschenfenster verschlossen war. In einem Korbe auf dem Rücksitz stand, was für ihn zum Frühstück bestimmt schien. Sonst war Alles, wie in der Nacht, der Wagen blieb in Einem Fahren, bald langsam, bald schneller. Durch die Ritzen ließ sich nichts entdecken, kaum ein Streifen des Horizonts. Nur wenn die Aeste am Leder streiften, oder am würzigen Harzgeruch der Kiefern erkannte er, daß es durch einen Wald ging. Befahrnere Wege schien man zu vermeiden, doch hörte er, wie der Wagen über Führen setzte und Brücken passirte.
Schnitter auf dem Felde sangen ein esthnisches Lied. Er hatte es wohl schon gehört; noch nie hatten die einfachen Töne ihm indeß so rührend geklungen:
Wo im Staub die Räder rollen,
Fährt der gnäd'ge Herr von dannen;
Möcht' er doch recht lange reisen.
Unsre Hände sind voll Schwielen,
Und geritzt die heißen Sohlen,
Wollt' er doch nicht wieder kehren!
Immer heißer brennt die Sonne,
Immer trockner schmeckt das Leibbrod,
Aerntebier ist immer saurer,
Wenn der gnäd'ge Herr uns zusieht. —
Ach! eh' bleibt im Meer die Sonne,
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
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