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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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Entlastung bedürftiger ist, läßt sie ihn innerhalb ihrer selbst weit hülfloser werden als das Weib, das, totaler und passiver liebend, in Leib und Seele nach Raumerfüllung drängt, und einen ganzen Lebensinhalt zum Aufblühen, Aufglühen bringt, um ihn hineinzuwerfen. Charakteristisch wie es ist, daß es im Männlichen keinen Namen für Dirne gibt, für den rein passiven Sexualmißbrauch, so auch keinen für den Madonnentypus: für die positiv Geheiligte; der Mann kann "Heiliger" immer nur geschlechtlich negativ, im Sinn der Askese, sein.

Die größere Konzentrationskraft auf dem Liebesgebiet, diese zusammenhaltende Gesamtbeziehung auf ein Einziges, die der Mann eher auf andern Gebieten wettmacht, stellt das Weib sicherlich in einem Punkt von gewaltigstem Lebenswert oft hoch über ihn. Allein es ist doch notwendig, das: richtig abzuschätzen als ein natürliches Produkt ihrer geringern Differenzierung. So könnte man z. B. finden, daß der Umstand allzu preisend betont wird, wie häufig ein weibliches Wesen grade deshalb ins Unglück stürze, weil selbst nach flüchtigem, sinnlichem Momentrausch die seelische Anhänglichkeit bei ihr nachfolge. Es ist aber doch nicht abzusehn, was sie ethisch vor dem leichtfertigen Mann dadurch voraushat, daß sie, hinterher den Schaden besehend, zu eignem Schrecken ihre Leichtfertigkeit verstrickt findet in allerlei tiefere Affekte. Man kann diese schwerere Löslichkeit der leiblich-geistigen Triebmasse sympathisch nennen, doch mit Unrecht setzt man es dem Mann ins Unrecht, nur, weil in einer Frau so vieles sich mit verführen ließ, was sie gar nicht mit gemeint hatte.

Daß Frauen sich um jeden Preis, mit allen Mitteln, weiter differenzieren möchten, und dabei doch Liebende non plus ultra bleiben, ja immer noch mehr werden, in Madonnen- und Mutterhoheit, das ist nicht ganz, konsequent. Wohl

Entlastung bedürftiger ist, läßt sie ihn innerhalb ihrer selbst weit hülfloser werden als das Weib, das, totaler und passiver liebend, in Leib und Seele nach Raumerfüllung drängt, und einen ganzen Lebensinhalt zum Aufblühen, Aufglühen bringt, um ihn hineinzuwerfen. Charakteristisch wie es ist, daß es im Männlichen keinen Namen für Dirne gibt, für den rein passiven Sexualmißbrauch, so auch keinen für den Madonnentypus: für die positiv Geheiligte; der Mann kann „Heiliger“ immer nur geschlechtlich negativ, im Sinn der Askese, sein.

Die größere Konzentrationskraft auf dem Liebesgebiet, diese zusammenhaltende Gesamtbeziehung auf ein Einziges, die der Mann eher auf andern Gebieten wettmacht, stellt das Weib sicherlich in einem Punkt von gewaltigstem Lebenswert oft hoch über ihn. Allein es ist doch notwendig, das: richtig abzuschätzen als ein natürliches Produkt ihrer geringern Differenzierung. So könnte man z. B. finden, daß der Umstand allzu preisend betont wird, wie häufig ein weibliches Wesen grade deshalb ins Unglück stürze, weil selbst nach flüchtigem, sinnlichem Momentrausch die seelische Anhänglichkeit bei ihr nachfolge. Es ist aber doch nicht abzusehn, was sie ethisch vor dem leichtfertigen Mann dadurch voraushat, daß sie, hinterher den Schaden besehend, zu eignem Schrecken ihre Leichtfertigkeit verstrickt findet in allerlei tiefere Affekte. Man kann diese schwerere Löslichkeit der leiblich-geistigen Triebmasse sympathisch nennen, doch mit Unrecht setzt man es dem Mann ins Unrecht, nur, weil in einer Frau so vieles sich mit verführen ließ, was sie gar nicht mit gemeint hatte.

Daß Frauen sich um jeden Preis, mit allen Mitteln, weiter differenzieren möchten, und dabei doch Liebende non plus ultra bleiben, ja immer noch mehr werden, in Madonnen- und Mutterhoheit, das ist nicht ganz, konsequent. Wohl

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[46/0046] Entlastung bedürftiger ist, läßt sie ihn innerhalb ihrer selbst weit hülfloser werden als das Weib, das, totaler und passiver liebend, in Leib und Seele nach Raumerfüllung drängt, und einen ganzen Lebensinhalt zum Aufblühen, Aufglühen bringt, um ihn hineinzuwerfen. Charakteristisch wie es ist, daß es im Männlichen keinen Namen für Dirne gibt, für den rein passiven Sexualmißbrauch, so auch keinen für den Madonnentypus: für die positiv Geheiligte; der Mann kann „Heiliger“ immer nur geschlechtlich negativ, im Sinn der Askese, sein. Die größere Konzentrationskraft auf dem Liebesgebiet, diese zusammenhaltende Gesamtbeziehung auf ein Einziges, die der Mann eher auf andern Gebieten wettmacht, stellt das Weib sicherlich in einem Punkt von gewaltigstem Lebenswert oft hoch über ihn. Allein es ist doch notwendig, das: richtig abzuschätzen als ein natürliches Produkt ihrer geringern Differenzierung. So könnte man z. B. finden, daß der Umstand allzu preisend betont wird, wie häufig ein weibliches Wesen grade deshalb ins Unglück stürze, weil selbst nach flüchtigem, sinnlichem Momentrausch die seelische Anhänglichkeit bei ihr nachfolge. Es ist aber doch nicht abzusehn, was sie ethisch vor dem leichtfertigen Mann dadurch voraushat, daß sie, hinterher den Schaden besehend, zu eignem Schrecken ihre Leichtfertigkeit verstrickt findet in allerlei tiefere Affekte. Man kann diese schwerere Löslichkeit der leiblich-geistigen Triebmasse sympathisch nennen, doch mit Unrecht setzt man es dem Mann ins Unrecht, nur, weil in einer Frau so vieles sich mit verführen ließ, was sie gar nicht mit gemeint hatte. Daß Frauen sich um jeden Preis, mit allen Mitteln, weiter differenzieren möchten, und dabei doch Liebende non plus ultra bleiben, ja immer noch mehr werden, in Madonnen- und Mutterhoheit, das ist nicht ganz, konsequent. Wohl

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/46>, abgerufen am 21.11.2024.