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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Eltern erzogen worden, und fiel schon als Knabe durch
den unheimlichen Fleiß auf, womit er, immer um be¬
zahlte Nachhilfestunden bemüht, das Gymnasium absol¬
vierte. Dann studierte er Medizin, und befand sich jetzt
als Hilfsarzt in der Kreisirrenanstalt von Brieg, wo ich
ihn zum erstenmal kennen lernte.

Die vorzüglichen Eigenschaften, die man an ihm
rühmte, hatten mir nur einen ganz vagen Eindruck ge¬
macht. Aber eine andre seiner Eigenschaften that es mir
augenblicklich an: Benno war schön. Schöne Menschen
sind immer mein ganzes Entzücken gewesen, und wenn
auch mein künstlerischer Geschmack heute etwas andres
darunter versteht als damals, so muß ich doch Benno
auch heute noch zugeben, daß er in seiner jungen Männlich¬
keit, mit dem ernsten blonden Kopf und dem hohen Jüng¬
lingswuchs, wie man ihn nicht oft findet, ganz auffallend
gut aussah. Wenigstens stach er genugsam von den ge¬
schniegelten Referendaren und Lieutenants ab, die auf
der Eisbahn und in den Kaffeekränzchen uns jungen Mäd¬
chen den Hof machten, und es gab ihm schon etwas
Apartes, daß er durchaus keine Zeit fand, mit uns
Schlittschuh zu laufen und Kaffeekränzchen zu besuchen,
sondern schweigsam beiseite stand und durch seine Brillen¬
gläser jeden daraufhin zu beobachten schien, ob er nicht
auch in sein Narrenhaus gehöre.

An Benno bin ich in einem erotischen und ästhe¬
tischen Rausch zum Weibe erwacht; meine Neigung zu
ihm war so zutraulich und leidenschaftlich zugleich, daß in
mir, die ja auch nur Liebe gekannt hatte, nie der ge¬
ringste Zweifel an seiner Gegenneigung entstand, obgleich

Eltern erzogen worden, und fiel ſchon als Knabe durch
den unheimlichen Fleiß auf, womit er, immer um be¬
zahlte Nachhilfeſtunden bemüht, das Gymnaſium abſol¬
vierte. Dann ſtudierte er Medizin, und befand ſich jetzt
als Hilfsarzt in der Kreisirrenanſtalt von Brieg, wo ich
ihn zum erſtenmal kennen lernte.

Die vorzüglichen Eigenſchaften, die man an ihm
rühmte, hatten mir nur einen ganz vagen Eindruck ge¬
macht. Aber eine andre ſeiner Eigenſchaften that es mir
augenblicklich an: Benno war ſchön. Schöne Menſchen
ſind immer mein ganzes Entzücken geweſen, und wenn
auch mein künſtleriſcher Geſchmack heute etwas andres
darunter verſteht als damals, ſo muß ich doch Benno
auch heute noch zugeben, daß er in ſeiner jungen Männlich¬
keit, mit dem ernſten blonden Kopf und dem hohen Jüng¬
lingswuchs, wie man ihn nicht oft findet, ganz auffallend
gut ausſah. Wenigſtens ſtach er genugſam von den ge¬
ſchniegelten Referendaren und Lieutenants ab, die auf
der Eisbahn und in den Kaffeekränzchen uns jungen Mäd¬
chen den Hof machten, und es gab ihm ſchon etwas
Apartes, daß er durchaus keine Zeit fand, mit uns
Schlittſchuh zu laufen und Kaffeekränzchen zu beſuchen,
ſondern ſchweigſam beiſeite ſtand und durch ſeine Brillen¬
gläſer jeden daraufhin zu beobachten ſchien, ob er nicht
auch in ſein Narrenhaus gehöre.

An Benno bin ich in einem erotiſchen und äſthe¬
tiſchen Rauſch zum Weibe erwacht; meine Neigung zu
ihm war ſo zutraulich und leidenſchaftlich zugleich, daß in
mir, die ja auch nur Liebe gekannt hatte, nie der ge¬
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[106/0110] — 106 — Eltern erzogen worden, und fiel ſchon als Knabe durch den unheimlichen Fleiß auf, womit er, immer um be¬ zahlte Nachhilfeſtunden bemüht, das Gymnaſium abſol¬ vierte. Dann ſtudierte er Medizin, und befand ſich jetzt als Hilfsarzt in der Kreisirrenanſtalt von Brieg, wo ich ihn zum erſtenmal kennen lernte. Die vorzüglichen Eigenſchaften, die man an ihm rühmte, hatten mir nur einen ganz vagen Eindruck ge¬ macht. Aber eine andre ſeiner Eigenſchaften that es mir augenblicklich an: Benno war ſchön. Schöne Menſchen ſind immer mein ganzes Entzücken geweſen, und wenn auch mein künſtleriſcher Geſchmack heute etwas andres darunter verſteht als damals, ſo muß ich doch Benno auch heute noch zugeben, daß er in ſeiner jungen Männlich¬ keit, mit dem ernſten blonden Kopf und dem hohen Jüng¬ lingswuchs, wie man ihn nicht oft findet, ganz auffallend gut ausſah. Wenigſtens ſtach er genugſam von den ge¬ ſchniegelten Referendaren und Lieutenants ab, die auf der Eisbahn und in den Kaffeekränzchen uns jungen Mäd¬ chen den Hof machten, und es gab ihm ſchon etwas Apartes, daß er durchaus keine Zeit fand, mit uns Schlittſchuh zu laufen und Kaffeekränzchen zu beſuchen, ſondern ſchweigſam beiſeite ſtand und durch ſeine Brillen¬ gläſer jeden daraufhin zu beobachten ſchien, ob er nicht auch in ſein Narrenhaus gehöre. An Benno bin ich in einem erotiſchen und äſthe¬ tiſchen Rauſch zum Weibe erwacht; meine Neigung zu ihm war ſo zutraulich und leidenſchaftlich zugleich, daß in mir, die ja auch nur Liebe gekannt hatte, nie der ge¬ ringſte Zweifel an ſeiner Gegenneigung entſtand, obgleich

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/110>, abgerufen am 24.11.2024.