Benno mich nicht stark beachtete. Er hat mir später gesagt, eine Werbung um mich sei ihm bei seinen geringen Zukunftsaussichten und bei seiner scheuen Dank¬ barkeit gegen meine Eltern stets ganz toll und undenk¬ bar erschienen. So kam es denn, daß im Grunde ich um ihn warb; mit berauschter Zuversichtlichkeit ging ich ihm entgegen, näher, immer näher, und in kurzem war ich seine Braut.
Sich so zu verlieben, hätte wohl auch einer andern passieren können, selbst mit anderm Temperament als meines. Daß diese Liebe erwidert wurde und zur Ver¬ lobung führte, ist ein unglücklicher Zufall; hätten wir uns nun rasch heiraten können, so wäre wohl für mich die Enttäuschung auf dem Fuße gefolgt, oder aber es würde die Mutterschaft mich vielleicht in meinem ganzen Wesen stark verwandelt haben. Von alledem trat nichts ein, wir konnten noch nicht bald heiraten, und unter den gefährlichen Liebkosungen des Brautstandes steigerte sich mein junger Liebesrausch zu einer Sehnsucht und Gemütsspannung, die das ganze übrige Leben förm¬ lich entfärbte.
Um diese Zeit starb mein Vater, indem er mit tiefem Vertrauen meiner Mutter und mir Benno zum Hüter und Berater bestellte. Monate voll schwerer Trauer folgten; meine Mutter und ich, die beiden unselbständigen, verwöhnten Frauen, warfen alle unsre Hoffnung auf Benno allein.
Zunächst wurde die Wohnung im Villenviertel ge¬ räumt und ein Haus bezogen, das neben der Irren¬ anstalt stand, wo Benno sein Dienstzimmer hatte. Es
Benno mich nicht ſtark beachtete. Er hat mir ſpäter geſagt, eine Werbung um mich ſei ihm bei ſeinen geringen Zukunftsausſichten und bei ſeiner ſcheuen Dank¬ barkeit gegen meine Eltern ſtets ganz toll und undenk¬ bar erſchienen. So kam es denn, daß im Grunde ich um ihn warb; mit berauſchter Zuverſichtlichkeit ging ich ihm entgegen, näher, immer näher, und in kurzem war ich ſeine Braut.
Sich ſo zu verlieben, hätte wohl auch einer andern paſſieren können, ſelbſt mit anderm Temperament als meines. Daß dieſe Liebe erwidert wurde und zur Ver¬ lobung führte, iſt ein unglücklicher Zufall; hätten wir uns nun raſch heiraten können, ſo wäre wohl für mich die Enttäuſchung auf dem Fuße gefolgt, oder aber es würde die Mutterſchaft mich vielleicht in meinem ganzen Weſen ſtark verwandelt haben. Von alledem trat nichts ein, wir konnten noch nicht bald heiraten, und unter den gefährlichen Liebkoſungen des Brautſtandes ſteigerte ſich mein junger Liebesrauſch zu einer Sehnſucht und Gemütsſpannung, die das ganze übrige Leben förm¬ lich entfärbte.
Um dieſe Zeit ſtarb mein Vater, indem er mit tiefem Vertrauen meiner Mutter und mir Benno zum Hüter und Berater beſtellte. Monate voll ſchwerer Trauer folgten; meine Mutter und ich, die beiden unſelbſtändigen, verwöhnten Frauen, warfen alle unſre Hoffnung auf Benno allein.
Zunächſt wurde die Wohnung im Villenviertel ge¬ räumt und ein Haus bezogen, das neben der Irren¬ anſtalt ſtand, wo Benno ſein Dienſtzimmer hatte. Es
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Benno mich nicht ſtark beachtete. Er hat mir ſpäter
geſagt, eine Werbung um mich ſei ihm bei ſeinen
geringen Zukunftsausſichten und bei ſeiner ſcheuen Dank¬
barkeit gegen meine Eltern ſtets ganz toll und undenk¬
bar erſchienen. So kam es denn, daß im Grunde ich
um ihn warb; mit berauſchter Zuverſichtlichkeit ging ich
ihm entgegen, näher, immer näher, und in kurzem war
ich ſeine Braut.
Sich ſo zu verlieben, hätte wohl auch einer andern
paſſieren können, ſelbſt mit anderm Temperament als
meines. Daß dieſe Liebe erwidert wurde und zur Ver¬
lobung führte, iſt ein unglücklicher Zufall; hätten wir
uns nun raſch heiraten können, ſo wäre wohl für mich
die Enttäuſchung auf dem Fuße gefolgt, oder aber
es würde die Mutterſchaft mich vielleicht in meinem
ganzen Weſen ſtark verwandelt haben. Von alledem trat
nichts ein, wir konnten noch nicht bald heiraten, und
unter den gefährlichen Liebkoſungen des Brautſtandes
ſteigerte ſich mein junger Liebesrauſch zu einer Sehnſucht
und Gemütsſpannung, die das ganze übrige Leben förm¬
lich entfärbte.
Um dieſe Zeit ſtarb mein Vater, indem er mit
tiefem Vertrauen meiner Mutter und mir Benno zum
Hüter und Berater beſtellte. Monate voll ſchwerer Trauer
folgten; meine Mutter und ich, die beiden unſelbſtändigen,
verwöhnten Frauen, warfen alle unſre Hoffnung auf
Benno allein.
Zunächſt wurde die Wohnung im Villenviertel ge¬
räumt und ein Haus bezogen, das neben der Irren¬
anſtalt ſtand, wo Benno ſein Dienſtzimmer hatte. Es
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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/111>, abgerufen am 16.07.2024.
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