Benno schrieb unter dem Vorwand, den Wunsch meiner Mutter auch seinerseits noch zu unterstützen. In Wirklichkeit trieb ihn jedoch etwas andres zu diesem Brief: auf Grund von allerlei umlaufenden Gerüchten schien er beunruhigt über meine "allzufreie" Lebens¬ gestaltung, wie er sie nannte, und hielt sich für ver¬ pflichtet, mich vor Verleumdungen zu warnen, -- oder auch vor mir selbst.
Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte. Seine Worte enthielten viele philiströse Bedenklichkeiten, über die ich lächeln mußte, auch viel Unkenntnis des Provinzlers und Fachmenschen hinsichtlich des Lebens in Weltstädten und unter Künstlern. Ja, das wußte ich ja nun längst: Benno verkörperte nicht gerade den Begriff eines unfehlbaren Idealhelden, sondern mochte das Pracht¬ exemplar eines eingefleischten Pedanten und Moralisten sein. Ungefähr das Gegenteil von all dem, was jetzt meine leicht gefesselte Phantasie entzücken und verführen konnte. Aber daß er sich erdreistete, so zu schreiben, daß er sich für verpflichtet hielt, so zu kontrollieren, was ich thun durfte und nicht thun durfte, -- er, der mich ja nicht einmal geliebt, -- nein, geliebt hatte er mich nicht, sondern fortgestoßen --.
Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht Herr werden, während ich unter meinen Gästen umher¬ ging, und lachte und scherzte.
In diesem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬ geschlagene Mappe, worin ich einige wertvolle Kunst¬ blätter aufbewahrte und die eben von einer jungen Malerin besehen wurde. Obenauf lag die bekannte Radierung
Benno ſchrieb unter dem Vorwand, den Wunſch meiner Mutter auch ſeinerſeits noch zu unterſtützen. In Wirklichkeit trieb ihn jedoch etwas andres zu dieſem Brief: auf Grund von allerlei umlaufenden Gerüchten ſchien er beunruhigt über meine „allzufreie“ Lebens¬ geſtaltung, wie er ſie nannte, und hielt ſich für ver¬ pflichtet, mich vor Verleumdungen zu warnen, — oder auch vor mir ſelbſt.
Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte. Seine Worte enthielten viele philiſtröſe Bedenklichkeiten, über die ich lächeln mußte, auch viel Unkenntnis des Provinzlers und Fachmenſchen hinſichtlich des Lebens in Weltſtädten und unter Künſtlern. Ja, das wußte ich ja nun längſt: Benno verkörperte nicht gerade den Begriff eines unfehlbaren Idealhelden, ſondern mochte das Pracht¬ exemplar eines eingefleiſchten Pedanten und Moraliſten ſein. Ungefähr das Gegenteil von all dem, was jetzt meine leicht gefeſſelte Phantaſie entzücken und verführen konnte. Aber daß er ſich erdreiſtete, ſo zu ſchreiben, daß er ſich für verpflichtet hielt, ſo zu kontrollieren, was ich thun durfte und nicht thun durfte, — er, der mich ja nicht einmal geliebt, — nein, geliebt hatte er mich nicht, ſondern fortgeſtoßen —.
Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht Herr werden, während ich unter meinen Gäſten umher¬ ging, und lachte und ſcherzte.
In dieſem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬ geſchlagene Mappe, worin ich einige wertvolle Kunſt¬ blätter aufbewahrte und die eben von einer jungen Malerin beſehen wurde. Obenauf lag die bekannte Radierung
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0120"n="116"/><fwtype="pageNum"place="top">— 116 —<lb/></fw><p>Benno ſchrieb unter dem Vorwand, den Wunſch<lb/>
meiner Mutter auch ſeinerſeits noch zu unterſtützen. In<lb/>
Wirklichkeit trieb ihn jedoch etwas andres zu dieſem<lb/>
Brief: auf Grund von allerlei umlaufenden Gerüchten<lb/>ſchien er beunruhigt über meine „allzufreie“ Lebens¬<lb/>
geſtaltung, wie er ſie nannte, und hielt ſich für ver¬<lb/>
pflichtet, mich vor Verleumdungen zu warnen, — oder<lb/>
auch vor mir ſelbſt.</p><lb/><p>Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte.<lb/>
Seine Worte enthielten viele philiſtröſe Bedenklichkeiten,<lb/>
über die ich lächeln mußte, auch viel Unkenntnis des<lb/>
Provinzlers und Fachmenſchen hinſichtlich des Lebens in<lb/>
Weltſtädten und unter Künſtlern. Ja, das wußte ich ja<lb/>
nun längſt: Benno verkörperte nicht gerade den Begriff<lb/>
eines unfehlbaren Idealhelden, ſondern mochte das Pracht¬<lb/>
exemplar eines eingefleiſchten Pedanten und Moraliſten<lb/>ſein. Ungefähr das Gegenteil von all dem, was jetzt<lb/>
meine leicht gefeſſelte Phantaſie entzücken und verführen<lb/>
konnte. Aber daß er ſich erdreiſtete, ſo zu ſchreiben,<lb/>
daß er ſich für verpflichtet hielt, ſo zu kontrollieren, was<lb/>
ich thun durfte und nicht thun durfte, — er, der mich<lb/>
ja nicht einmal geliebt, — nein, geliebt hatte er mich<lb/>
nicht, ſondern fortgeſtoßen —.</p><lb/><p>Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht<lb/>
Herr werden, während ich unter meinen Gäſten umher¬<lb/>
ging, und lachte und ſcherzte.</p><lb/><p>In dieſem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬<lb/>
geſchlagene Mappe, worin ich einige wertvolle Kunſt¬<lb/>
blätter aufbewahrte und die eben von einer jungen Malerin<lb/>
beſehen wurde. Obenauf lag die bekannte Radierung<lb/></p></div></body></text></TEI>
[116/0120]
— 116 —
Benno ſchrieb unter dem Vorwand, den Wunſch
meiner Mutter auch ſeinerſeits noch zu unterſtützen. In
Wirklichkeit trieb ihn jedoch etwas andres zu dieſem
Brief: auf Grund von allerlei umlaufenden Gerüchten
ſchien er beunruhigt über meine „allzufreie“ Lebens¬
geſtaltung, wie er ſie nannte, und hielt ſich für ver¬
pflichtet, mich vor Verleumdungen zu warnen, — oder
auch vor mir ſelbſt.
Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte.
Seine Worte enthielten viele philiſtröſe Bedenklichkeiten,
über die ich lächeln mußte, auch viel Unkenntnis des
Provinzlers und Fachmenſchen hinſichtlich des Lebens in
Weltſtädten und unter Künſtlern. Ja, das wußte ich ja
nun längſt: Benno verkörperte nicht gerade den Begriff
eines unfehlbaren Idealhelden, ſondern mochte das Pracht¬
exemplar eines eingefleiſchten Pedanten und Moraliſten
ſein. Ungefähr das Gegenteil von all dem, was jetzt
meine leicht gefeſſelte Phantaſie entzücken und verführen
konnte. Aber daß er ſich erdreiſtete, ſo zu ſchreiben,
daß er ſich für verpflichtet hielt, ſo zu kontrollieren, was
ich thun durfte und nicht thun durfte, — er, der mich
ja nicht einmal geliebt, — nein, geliebt hatte er mich
nicht, ſondern fortgeſtoßen —.
Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht
Herr werden, während ich unter meinen Gäſten umher¬
ging, und lachte und ſcherzte.
In dieſem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬
geſchlagene Mappe, worin ich einige wertvolle Kunſt¬
blätter aufbewahrte und die eben von einer jungen Malerin
beſehen wurde. Obenauf lag die bekannte Radierung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/120>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.