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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Rahmen, der dort zu ihm gehörte. Ich behandelte ihn in
dieser pietätvollen Regung unwillkürlich ganz als Bild --.

Da ging die gegenüberliegende Thür auf, und Benno
trat aus seinem Wartezimmer herein.

"Grüß dich Gott!" sagte er mit seiner verhaltenen
Stimme und kam, fast etwas ungeschickt, mit ausgestreckter
Hand auf mich zu. Als ich meine Hand hineinlegte, hielt
er sie einige Sekunden lang fest und hinderte mich da¬
durch, mich aus meiner halbruhenden Lage aufzurichten.

"Bleib sitzen! grade so, wie du gesessen hast, aber
den Kopf hebe, und gegen das Licht; ich muß dich doch
deutlich wiedersehen," sagte er wie entschuldigend.

Ich fand keine Entgegnung und gehorchte nur, den
Kopf zurücklehnend und den Blick zu ihm hebend, wäh¬
rend ich fühlte, daß ich unter dem seinen errötete.

"Wie gesund und hell und glücklich du ausschaust,
-- -- und wie schön!" sagte er treuherzig. Aber zu¬
gleich wurde er befangen und trat etwas zurück.

Ich überflog seine ganze Gestalt und sein Gesicht.
Das Gesicht erschien mir zu sehr gealtert in diesen sechs
Jahren. Die unausgesetzte, nervenaufreibende Thätigkeit
hatte verfrühte Falten in seine Stirn gezogen und das
weiche aschblonde Haar an den Schläfen ein wenig ge¬
lichtet. Ob er wohl noch die interessanten, furchterwecken¬
den Irrenarztaugen hat? dachte ich und suchte seinen
Blick. Aber auf den Gläsern der Brille blitzte und
glitzerte das Morgenlicht, und mir kam der Gedanke, wie
viel öfter ich überhaupt dieses alles verdeckende Brillen¬
funkeln gesehen hätte, als den dahinter vermuteten Augen¬
ausdruck.

Lou Andreas-Salome, Fenitschka. 9

Rahmen, der dort zu ihm gehörte. Ich behandelte ihn in
dieſer pietätvollen Regung unwillkürlich ganz als Bild —.

Da ging die gegenüberliegende Thür auf, und Benno
trat aus ſeinem Wartezimmer herein.

„Grüß dich Gott!“ ſagte er mit ſeiner verhaltenen
Stimme und kam, faſt etwas ungeſchickt, mit ausgeſtreckter
Hand auf mich zu. Als ich meine Hand hineinlegte, hielt
er ſie einige Sekunden lang feſt und hinderte mich da¬
durch, mich aus meiner halbruhenden Lage aufzurichten.

„Bleib ſitzen! grade ſo, wie du geſeſſen haſt, aber
den Kopf hebe, und gegen das Licht; ich muß dich doch
deutlich wiederſehen,“ ſagte er wie entſchuldigend.

Ich fand keine Entgegnung und gehorchte nur, den
Kopf zurücklehnend und den Blick zu ihm hebend, wäh¬
rend ich fühlte, daß ich unter dem ſeinen errötete.

„Wie geſund und hell und glücklich du ausſchauſt,
— — und wie ſchön!“ ſagte er treuherzig. Aber zu¬
gleich wurde er befangen und trat etwas zurück.

Ich überflog ſeine ganze Geſtalt und ſein Geſicht.
Das Geſicht erſchien mir zu ſehr gealtert in dieſen ſechs
Jahren. Die unausgeſetzte, nervenaufreibende Thätigkeit
hatte verfrühte Falten in ſeine Stirn gezogen und das
weiche aſchblonde Haar an den Schläfen ein wenig ge¬
lichtet. Ob er wohl noch die intereſſanten, furchterwecken¬
den Irrenarztaugen hat? dachte ich und ſuchte ſeinen
Blick. Aber auf den Gläſern der Brille blitzte und
glitzerte das Morgenlicht, und mir kam der Gedanke, wie
viel öfter ich überhaupt dieſes alles verdeckende Brillen¬
funkeln geſehen hätte, als den dahinter vermuteten Augen¬
ausdruck.

Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka. 9
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[129/0133] — 129 — Rahmen, der dort zu ihm gehörte. Ich behandelte ihn in dieſer pietätvollen Regung unwillkürlich ganz als Bild —. Da ging die gegenüberliegende Thür auf, und Benno trat aus ſeinem Wartezimmer herein. „Grüß dich Gott!“ ſagte er mit ſeiner verhaltenen Stimme und kam, faſt etwas ungeſchickt, mit ausgeſtreckter Hand auf mich zu. Als ich meine Hand hineinlegte, hielt er ſie einige Sekunden lang feſt und hinderte mich da¬ durch, mich aus meiner halbruhenden Lage aufzurichten. „Bleib ſitzen! grade ſo, wie du geſeſſen haſt, aber den Kopf hebe, und gegen das Licht; ich muß dich doch deutlich wiederſehen,“ ſagte er wie entſchuldigend. Ich fand keine Entgegnung und gehorchte nur, den Kopf zurücklehnend und den Blick zu ihm hebend, wäh¬ rend ich fühlte, daß ich unter dem ſeinen errötete. „Wie geſund und hell und glücklich du ausſchauſt, — — und wie ſchön!“ ſagte er treuherzig. Aber zu¬ gleich wurde er befangen und trat etwas zurück. Ich überflog ſeine ganze Geſtalt und ſein Geſicht. Das Geſicht erſchien mir zu ſehr gealtert in dieſen ſechs Jahren. Die unausgeſetzte, nervenaufreibende Thätigkeit hatte verfrühte Falten in ſeine Stirn gezogen und das weiche aſchblonde Haar an den Schläfen ein wenig ge¬ lichtet. Ob er wohl noch die intereſſanten, furchterwecken¬ den Irrenarztaugen hat? dachte ich und ſuchte ſeinen Blick. Aber auf den Gläſern der Brille blitzte und glitzerte das Morgenlicht, und mir kam der Gedanke, wie viel öfter ich überhaupt dieſes alles verdeckende Brillen¬ funkeln geſehen hätte, als den dahinter vermuteten Augen¬ ausdruck. Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka. 9

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/133>, abgerufen am 21.11.2024.