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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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lich belustigt, als Gabriele aufschaute, mich bemerkte
und mir nun eilig die Treppe nachsprang.

"Gott, wie lieb von dir, zu kommen!" rief sie atem¬
los und umarmte mich mit der alten Mädchenherzlichkeit,
"ich wäre schon selbst bei dir gewesen, mochte euch nur
nicht gleich stören."

"Wie hübsch du geworden bist!" sagte ich und
betrachtete sie voller Freude. Gabriele glich gar nicht
mehr dem langen, rothaarigen Backfisch von ehedem; ihr
rötliches, sehr feines und krauses Haar umsprühte förm¬
lich leuchtend ein Gesicht von den zartesten weißroten
Farben, und von den Sommersprossen schienen nur ein
paar ganz pikant wirkende Tupfe über der Nasenwurzel
übrig zu sein. Größer als ich, auch von derberm Knochen¬
bau, bot sie ein Bild blühender Kraft.

Sie hatte die Thür aufgeschlossen und führte mich
in das wohlbekannte Eßzimmer mit der karrierten Wachs¬
tuchdecke auf dem langen Tisch und dem Nähtisch am
Fenster. An diesem Fenster, das von der starken Zimmer¬
wärme leicht beschlagen war, lehnte ihre jüngere Schwe¬
ster Mathilde, Mutchen genannt, zwischen den weißen
Mullvorhängen und malte mit dem Zeigefinger mystische
Buchstaben auf die Scheibe.

"Mit dem bißchen Ordnen der Tischwäsche hättest
du auch fertig werden können, scheint mir," bemerkte
Gabriele verdrießlich, und warf einen Blick über die
Stöße von Servietten, die neben einem halbgeleerten
Wäschekorb auf den Stühlen umherlagen, "es giebt ohne¬
hin vor Weihnachten noch viel zu thun."

Mutchen fuhr bei unserm Eintritt ein wenig zu¬

lich beluſtigt, als Gabriele aufſchaute, mich bemerkte
und mir nun eilig die Treppe nachſprang.

„Gott, wie lieb von dir, zu kommen!“ rief ſie atem¬
los und umarmte mich mit der alten Mädchenherzlichkeit,
„ich wäre ſchon ſelbſt bei dir geweſen, mochte euch nur
nicht gleich ſtören.“

„Wie hübſch du geworden biſt!“ ſagte ich und
betrachtete ſie voller Freude. Gabriele glich gar nicht
mehr dem langen, rothaarigen Backfiſch von ehedem; ihr
rötliches, ſehr feines und krauſes Haar umſprühte förm¬
lich leuchtend ein Geſicht von den zarteſten weißroten
Farben, und von den Sommerſproſſen ſchienen nur ein
paar ganz pikant wirkende Tupfe über der Naſenwurzel
übrig zu ſein. Größer als ich, auch von derberm Knochen¬
bau, bot ſie ein Bild blühender Kraft.

Sie hatte die Thür aufgeſchloſſen und führte mich
in das wohlbekannte Eßzimmer mit der karrierten Wachs¬
tuchdecke auf dem langen Tiſch und dem Nähtiſch am
Fenſter. An dieſem Fenſter, das von der ſtarken Zimmer¬
wärme leicht beſchlagen war, lehnte ihre jüngere Schwe¬
ſter Mathilde, Mutchen genannt, zwiſchen den weißen
Mullvorhängen und malte mit dem Zeigefinger myſtiſche
Buchſtaben auf die Scheibe.

„Mit dem bißchen Ordnen der Tiſchwäſche hätteſt
du auch fertig werden können, ſcheint mir,“ bemerkte
Gabriele verdrießlich, und warf einen Blick über die
Stöße von Servietten, die neben einem halbgeleerten
Wäſchekorb auf den Stühlen umherlagen, „es giebt ohne¬
hin vor Weihnachten noch viel zu thun.“

Mutchen fuhr bei unſerm Eintritt ein wenig zu¬

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[136/0140] — 136 — lich beluſtigt, als Gabriele aufſchaute, mich bemerkte und mir nun eilig die Treppe nachſprang. „Gott, wie lieb von dir, zu kommen!“ rief ſie atem¬ los und umarmte mich mit der alten Mädchenherzlichkeit, „ich wäre ſchon ſelbſt bei dir geweſen, mochte euch nur nicht gleich ſtören.“ „Wie hübſch du geworden biſt!“ ſagte ich und betrachtete ſie voller Freude. Gabriele glich gar nicht mehr dem langen, rothaarigen Backfiſch von ehedem; ihr rötliches, ſehr feines und krauſes Haar umſprühte förm¬ lich leuchtend ein Geſicht von den zarteſten weißroten Farben, und von den Sommerſproſſen ſchienen nur ein paar ganz pikant wirkende Tupfe über der Naſenwurzel übrig zu ſein. Größer als ich, auch von derberm Knochen¬ bau, bot ſie ein Bild blühender Kraft. Sie hatte die Thür aufgeſchloſſen und führte mich in das wohlbekannte Eßzimmer mit der karrierten Wachs¬ tuchdecke auf dem langen Tiſch und dem Nähtiſch am Fenſter. An dieſem Fenſter, das von der ſtarken Zimmer¬ wärme leicht beſchlagen war, lehnte ihre jüngere Schwe¬ ſter Mathilde, Mutchen genannt, zwiſchen den weißen Mullvorhängen und malte mit dem Zeigefinger myſtiſche Buchſtaben auf die Scheibe. „Mit dem bißchen Ordnen der Tiſchwäſche hätteſt du auch fertig werden können, ſcheint mir,“ bemerkte Gabriele verdrießlich, und warf einen Blick über die Stöße von Servietten, die neben einem halbgeleerten Wäſchekorb auf den Stühlen umherlagen, „es giebt ohne¬ hin vor Weihnachten noch viel zu thun.“ Mutchen fuhr bei unſerm Eintritt ein wenig zu¬

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/140>, abgerufen am 21.11.2024.