Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.Brieg, -- oder sonstwo -- bist. Ich meine, das ist kein Er erwiderte gereizt: "Es ist vielmehr ein Beweis, wie sehr ein Mensch "Verstümmelt, verkürzt?" wiederholte ich staunend, "Um in ihm irgend ein paar Fähigkeiten und Fertig¬ Ich schwieg. Ich wußte ja von seiner überbürdeten Brieg, — oder ſonſtwo — biſt. Ich meine, das iſt kein Er erwiderte gereizt: „Es iſt vielmehr ein Beweis, wie ſehr ein Menſch „Verſtümmelt, verkürzt?“ wiederholte ich ſtaunend, „Um in ihm irgend ein paar Fähigkeiten und Fertig¬ Ich ſchwieg. Ich wußte ja von ſeiner überbürdeten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0146" n="142"/><fw type="pageNum" place="top">— 142 —<lb/></fw>Brieg, — oder ſonſtwo — biſt. Ich meine, das iſt kein<lb/> Zufall, ſondern ein Beweis, wie dein Beruf mit dir ver¬<lb/> ſchmolzen iſt.“</p><lb/> <p>Er erwiderte gereizt:</p><lb/> <p>„Es iſt vielmehr ein Beweis, wie ſehr ein Menſch<lb/> bei ſtrenger, einſeitiger Berufsarbeit verſtümmelt, in ſei¬<lb/> ner vollen Entwickelung verkürzt wird. Deshalb nehmt<lb/> ihr ſo ohne weitres den Berufsmenſchen in uns ſchon<lb/> für den ganzen Menſchen.“</p><lb/> <p>„Verſtümmelt, verkürzt?“ wiederholte ich ſtaunend,<lb/> „aber Benno, entwickelt ihr euch denn nicht dabei ſo<lb/> ſehr, daß ſchon die Frauenzimmer es euch neidiſch nach¬<lb/> thun wollen? Schließlich wählt ihr ja den Beruf.“</p><lb/> <p>„Um in ihm irgend ein paar Fähigkeiten und Fertig¬<lb/> keiten auszubilden, — ja,“ fiel er ein, „um mehr als<lb/> das zu thun, dazu gehört Zeit und Geld, alſo iſt es nur<lb/> für die wenigſten. Was meinſt du wohl, was von<lb/> unſerm ganzen nicht beruflichen Innenleben zur Ent¬<lb/> wickelung kommt, wenn man in ſolchem Zeitmangel lebt,<lb/> wie etwa ich gelebt habe? Mir kommt es vor, ſo lange<lb/> ich zurückdenken kann, ſchon von der Schulbank her, als<lb/> hätte ich niemals Zeit gehabt, und als wären daraus die<lb/> ſchlimmſten Fehlgriffe entſtanden, die ich je begangen habe.“</p><lb/> <p>Ich ſchwieg. Ich wußte ja von ſeiner überbürdeten<lb/> Studienzeit, ſeiner raſtloſen Arbeit bei geringſten Mit¬<lb/> teln, faſt ohne Muße, und ich gab ihm recht. Aber daß<lb/> es Benno war, der ſo ſprach, konnte ich nicht begreifen.<lb/> Wann hätte er ſich je mit Mängeln ſeiner Entwickelung<lb/> herumgeſchlagen? Wann ſich je in ſeiner ſelbſtbewußten<lb/> Sicherheit beirren laſſen?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [142/0146]
— 142 —
Brieg, — oder ſonſtwo — biſt. Ich meine, das iſt kein
Zufall, ſondern ein Beweis, wie dein Beruf mit dir ver¬
ſchmolzen iſt.“
Er erwiderte gereizt:
„Es iſt vielmehr ein Beweis, wie ſehr ein Menſch
bei ſtrenger, einſeitiger Berufsarbeit verſtümmelt, in ſei¬
ner vollen Entwickelung verkürzt wird. Deshalb nehmt
ihr ſo ohne weitres den Berufsmenſchen in uns ſchon
für den ganzen Menſchen.“
„Verſtümmelt, verkürzt?“ wiederholte ich ſtaunend,
„aber Benno, entwickelt ihr euch denn nicht dabei ſo
ſehr, daß ſchon die Frauenzimmer es euch neidiſch nach¬
thun wollen? Schließlich wählt ihr ja den Beruf.“
„Um in ihm irgend ein paar Fähigkeiten und Fertig¬
keiten auszubilden, — ja,“ fiel er ein, „um mehr als
das zu thun, dazu gehört Zeit und Geld, alſo iſt es nur
für die wenigſten. Was meinſt du wohl, was von
unſerm ganzen nicht beruflichen Innenleben zur Ent¬
wickelung kommt, wenn man in ſolchem Zeitmangel lebt,
wie etwa ich gelebt habe? Mir kommt es vor, ſo lange
ich zurückdenken kann, ſchon von der Schulbank her, als
hätte ich niemals Zeit gehabt, und als wären daraus die
ſchlimmſten Fehlgriffe entſtanden, die ich je begangen habe.“
Ich ſchwieg. Ich wußte ja von ſeiner überbürdeten
Studienzeit, ſeiner raſtloſen Arbeit bei geringſten Mit¬
teln, faſt ohne Muße, und ich gab ihm recht. Aber daß
es Benno war, der ſo ſprach, konnte ich nicht begreifen.
Wann hätte er ſich je mit Mängeln ſeiner Entwickelung
herumgeſchlagen? Wann ſich je in ſeiner ſelbſtbewußten
Sicherheit beirren laſſen?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |