Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Mit Ausnahme einiger Weniger, die wirklich etwas dumm Da forciren sich die Leute Gesinnungen an, wie sie eben Der Mensch ißt eben so wenig, um zu leben, als er lebt, Der Eßkünstler ißt schön, und damit genügt er allen arti- 7
Mit Ausnahme einiger Weniger, die wirklich etwas dumm Da forciren ſich die Leute Geſinnungen an, wie ſie eben Der Menſch ißt eben ſo wenig, um zu leben, als er lebt, Der Eßkuͤnſtler ißt ſchoͤn, und damit genuͤgt er allen arti- 7
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0111" n="97"/> <p>Mit Ausnahme einiger Weniger, die wirklich etwas dumm<lb/> ſind, iſt’s aber bei der Mehrzahl lauter Gleißnerei, Heuchelei<lb/> und Luͤge, — der Fluch unſerer ganzen Zeit.</p><lb/> <p>Da forciren ſich die Leute Geſinnungen an, wie ſie eben<lb/> verlangt und bezahlt werden, und zappeln mit Arm und Bein,<lb/> um ſie gehoͤrigen Orts an Mann zu bringen. — Der Kenner<lb/> merkt gerade am eifrigen Zappeln das Forcirte. — So ein<lb/> Ungluͤcklicher, der den ganzen Tag mit ſeinen Geſinnungen<lb/> Staat gemacht, legt ſich dann Nachts, muͤde und matt wie ein<lb/> gepruͤgelter Hund, der als Schauſpieler und Seiltaͤnzer funk-<lb/> tionirt, in’s Bett und monologiſirt ſeufzend: haſt brav getanzt<lb/> heute, Caro, haͤtteſt eine Bratwurſt verdient, und haſt ſie doch<lb/> nicht gekriegt! Aber nicht der entbehrten Bratwurſt, als ſchnoͤ-<lb/> der Bratwurſt, wegen iſt es, daß ich traure; — faͤhrt der Pu-<lb/> del fort und leckt ſich die Schnauze, — das waͤre gemein.<lb/> Ich haͤtte ſie blos gefreſſen, um als Gatte und Familienvater,<lb/> als Hund und Weltbuͤrger, als Kuͤnſtler und Unterthan bei<lb/> Kraͤften zu bleiben, und dadurch im Stande zu ſein, dieſen viel-<lb/> fachen Verpflichtungen um ſo erſprießlicher zu entſprechen.</p><lb/> <p>Der Menſch ißt eben ſo wenig, um zu leben, als er lebt,<lb/> um zu eſſen. Er ißt, weil er Hunger oder Appetit hat, oder in<lb/> Deutſchland, weil’s zwoͤlf Uhr ſchlaͤgt. Wie aber die Tugend,<lb/> ſo wird das Eſſen von dem Wuͤrdigen und ſeiner Selbſt willen<lb/> geuͤbt. Der Eßkuͤnſtler ißt rein um zu eſſen und ſpricht dieß<lb/> aus; der Philiſter ſagt, er aͤße, um zu leben, und das ſei chriſt-<lb/> lich und moraliſch.</p><lb/> <p>Der Eßkuͤnſtler ißt ſchoͤn, und damit genuͤgt er allen arti-<lb/> ſtiſchen Anſpruͤchen. Eben weil er ſchoͤn ißt, bleibt er in den<lb/> geregelten Graͤnzen, gleichweit von Schlemmerei als Hunger-<lb/> leiderei entfernt. Nun verlangt aber der Philiſter bei jedem<lb/> Loͤffel Suppe eine Tugendphraſe, und wo dieſe nicht losgelaſſen<lb/> wird, ſchwatzt er von unſittlicher Kunſt. Man weiß, welch’<lb/> <fw place="bottom" type="sig">7</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0111]
Mit Ausnahme einiger Weniger, die wirklich etwas dumm
ſind, iſt’s aber bei der Mehrzahl lauter Gleißnerei, Heuchelei
und Luͤge, — der Fluch unſerer ganzen Zeit.
Da forciren ſich die Leute Geſinnungen an, wie ſie eben
verlangt und bezahlt werden, und zappeln mit Arm und Bein,
um ſie gehoͤrigen Orts an Mann zu bringen. — Der Kenner
merkt gerade am eifrigen Zappeln das Forcirte. — So ein
Ungluͤcklicher, der den ganzen Tag mit ſeinen Geſinnungen
Staat gemacht, legt ſich dann Nachts, muͤde und matt wie ein
gepruͤgelter Hund, der als Schauſpieler und Seiltaͤnzer funk-
tionirt, in’s Bett und monologiſirt ſeufzend: haſt brav getanzt
heute, Caro, haͤtteſt eine Bratwurſt verdient, und haſt ſie doch
nicht gekriegt! Aber nicht der entbehrten Bratwurſt, als ſchnoͤ-
der Bratwurſt, wegen iſt es, daß ich traure; — faͤhrt der Pu-
del fort und leckt ſich die Schnauze, — das waͤre gemein.
Ich haͤtte ſie blos gefreſſen, um als Gatte und Familienvater,
als Hund und Weltbuͤrger, als Kuͤnſtler und Unterthan bei
Kraͤften zu bleiben, und dadurch im Stande zu ſein, dieſen viel-
fachen Verpflichtungen um ſo erſprießlicher zu entſprechen.
Der Menſch ißt eben ſo wenig, um zu leben, als er lebt,
um zu eſſen. Er ißt, weil er Hunger oder Appetit hat, oder in
Deutſchland, weil’s zwoͤlf Uhr ſchlaͤgt. Wie aber die Tugend,
ſo wird das Eſſen von dem Wuͤrdigen und ſeiner Selbſt willen
geuͤbt. Der Eßkuͤnſtler ißt rein um zu eſſen und ſpricht dieß
aus; der Philiſter ſagt, er aͤße, um zu leben, und das ſei chriſt-
lich und moraliſch.
Der Eßkuͤnſtler ißt ſchoͤn, und damit genuͤgt er allen arti-
ſtiſchen Anſpruͤchen. Eben weil er ſchoͤn ißt, bleibt er in den
geregelten Graͤnzen, gleichweit von Schlemmerei als Hunger-
leiderei entfernt. Nun verlangt aber der Philiſter bei jedem
Loͤffel Suppe eine Tugendphraſe, und wo dieſe nicht losgelaſſen
wird, ſchwatzt er von unſittlicher Kunſt. Man weiß, welch’
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