Es kommt nun aber ein anderes ethisches Gebot in Be- tracht, nämlich die Pflicht, sich bei gutem Appetit zu erhalten. Durch nichts wird aber der Appetit mehr verdorben, als durch Saufen. Ein Säufer wird und kann niemals ein Eßkünstler sein. Der Säufer zerstört geradezu alle Bedingungen eines heiteren Genusses des Lebens überhaupt und des Essens und was damit zusammenhängt insbesondere. Der Eßkünstler trinkt über, oder besser nach Tisch sein Fläschchen Wein oder pro captu zwei; man wird ihn aber nie saufen sehen, ja man kann von Jemand, der säuft, mit Bestimmtheit sagen, er sei kein Eßkünstler.
Wie es von wilder Rohheit oder pathologischer Abnormität zeugt, wenn der Mensch frißt, so zeugt es von niederem Stand- punkte, Bornitur und Engherzigkeit, wenn der Mensch sich auf einen zu kleinen Kreis, auf eine zu geringe, zu wenig mannich- faltige Auswahl von Speise beschränkt. Die guten Schäfchen, welche Fasttage halten, kommen in diesen, für Männer bestimm- ten, Vorlesungen nicht in Betracht. Allerdings haben einzelne Menschen für manche Beziehungen von Natur aus keinen Sinn, kein Talent; bei anderen sind Idiosynkrasieen wirklich krank- haft. Dieß jedoch nur in den seltensten Fällen. Meistens be- ruhen solche Abneigungen gegen einzelne Speisen auf Vorur- theil, Befangenheit, Mangel an Muth zum Experiment. So hab' ich mir als junger Mensch eingebildet, ich könnte niemals Neigung zu demjenigen Fisch fassen, welchen, wie Pater Abra- ham a Sancta Clara sagt, die Holländer Stock nennen, und der in unseren Landen ohne Kopf anzutreffen. Gereiftere Er- fahrung lehrte mich ihn sehr applicable und liebenswürdig finden. Es ist eine Speise von bestimmtem, entschiedenem Cha- rakter, bei dem man weiß, woran man ist, obschon man glaubt, daß einige Verdauungskraft dazu gehört, ihn zu vertragen. Viele Schriftsteller zählen ihn aber gerade zu den leichtverdau- lichsten Speisen. Nicht nur ziehe ich ihn der Doppelzüngigkeit
Es kommt nun aber ein anderes ethiſches Gebot in Be- tracht, naͤmlich die Pflicht, ſich bei gutem Appetit zu erhalten. Durch nichts wird aber der Appetit mehr verdorben, als durch Saufen. Ein Saͤufer wird und kann niemals ein Eßkuͤnſtler ſein. Der Saͤufer zerſtoͤrt geradezu alle Bedingungen eines heiteren Genuſſes des Lebens uͤberhaupt und des Eſſens und was damit zuſammenhaͤngt insbeſondere. Der Eßkuͤnſtler trinkt uͤber, oder beſſer nach Tiſch ſein Flaͤſchchen Wein oder pro captu zwei; man wird ihn aber nie ſaufen ſehen, ja man kann von Jemand, der ſaͤuft, mit Beſtimmtheit ſagen, er ſei kein Eßkuͤnſtler.
Wie es von wilder Rohheit oder pathologiſcher Abnormitaͤt zeugt, wenn der Menſch frißt, ſo zeugt es von niederem Stand- punkte, Bornitur und Engherzigkeit, wenn der Menſch ſich auf einen zu kleinen Kreis, auf eine zu geringe, zu wenig mannich- faltige Auswahl von Speiſe beſchraͤnkt. Die guten Schaͤfchen, welche Faſttage halten, kommen in dieſen, fuͤr Maͤnner beſtimm- ten, Vorleſungen nicht in Betracht. Allerdings haben einzelne Menſchen fuͤr manche Beziehungen von Natur aus keinen Sinn, kein Talent; bei anderen ſind Idioſynkraſieen wirklich krank- haft. Dieß jedoch nur in den ſeltenſten Faͤllen. Meiſtens be- ruhen ſolche Abneigungen gegen einzelne Speiſen auf Vorur- theil, Befangenheit, Mangel an Muth zum Experiment. So hab’ ich mir als junger Menſch eingebildet, ich koͤnnte niemals Neigung zu demjenigen Fiſch faſſen, welchen, wie Pater Abra- ham a Sancta Clara ſagt, die Hollaͤnder Stock nennen, und der in unſeren Landen ohne Kopf anzutreffen. Gereiftere Er- fahrung lehrte mich ihn ſehr applicable und liebenswuͤrdig finden. Es iſt eine Speiſe von beſtimmtem, entſchiedenem Cha- rakter, bei dem man weiß, woran man iſt, obſchon man glaubt, daß einige Verdauungskraft dazu gehoͤrt, ihn zu vertragen. Viele Schriftſteller zaͤhlen ihn aber gerade zu den leichtverdau- lichſten Speiſen. Nicht nur ziehe ich ihn der Doppelzuͤngigkeit
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Es kommt nun aber ein anderes ethiſches Gebot in Be-
tracht, naͤmlich die Pflicht, ſich bei gutem Appetit zu erhalten.
Durch nichts wird aber der Appetit mehr verdorben, als durch
Saufen. Ein Saͤufer wird und kann niemals ein Eßkuͤnſtler
ſein. Der Saͤufer zerſtoͤrt geradezu alle Bedingungen eines
heiteren Genuſſes des Lebens uͤberhaupt und des Eſſens und
was damit zuſammenhaͤngt insbeſondere. Der Eßkuͤnſtler trinkt
uͤber, oder beſſer nach Tiſch ſein Flaͤſchchen Wein oder pro
captu zwei; man wird ihn aber nie ſaufen ſehen, ja man kann
von Jemand, der ſaͤuft, mit Beſtimmtheit ſagen, er ſei kein
Eßkuͤnſtler.
Wie es von wilder Rohheit oder pathologiſcher Abnormitaͤt
zeugt, wenn der Menſch frißt, ſo zeugt es von niederem Stand-
punkte, Bornitur und Engherzigkeit, wenn der Menſch ſich auf
einen zu kleinen Kreis, auf eine zu geringe, zu wenig mannich-
faltige Auswahl von Speiſe beſchraͤnkt. Die guten Schaͤfchen,
welche Faſttage halten, kommen in dieſen, fuͤr Maͤnner beſtimm-
ten, Vorleſungen nicht in Betracht. Allerdings haben einzelne
Menſchen fuͤr manche Beziehungen von Natur aus keinen Sinn,
kein Talent; bei anderen ſind Idioſynkraſieen wirklich krank-
haft. Dieß jedoch nur in den ſeltenſten Faͤllen. Meiſtens be-
ruhen ſolche Abneigungen gegen einzelne Speiſen auf Vorur-
theil, Befangenheit, Mangel an Muth zum Experiment. So
hab’ ich mir als junger Menſch eingebildet, ich koͤnnte niemals
Neigung zu demjenigen Fiſch faſſen, welchen, wie Pater Abra-
ham a Sancta Clara ſagt, die Hollaͤnder Stock nennen, und
der in unſeren Landen ohne Kopf anzutreffen. Gereiftere Er-
fahrung lehrte mich ihn ſehr applicable und liebenswuͤrdig
finden. Es iſt eine Speiſe von beſtimmtem, entſchiedenem Cha-
rakter, bei dem man weiß, woran man iſt, obſchon man glaubt,
daß einige Verdauungskraft dazu gehoͤrt, ihn zu vertragen.
Viele Schriftſteller zaͤhlen ihn aber gerade zu den leichtverdau-
lichſten Speiſen. Nicht nur ziehe ich ihn der Doppelzuͤngigkeit
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/121>, abgerufen am 16.02.2025.
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