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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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einer sauersüßen Wurst mit Mandeln und Rosinen bei weitem
vor -- und er verdient es -- sondern ich esse ihn jetzt mit der
größten Lust. So ging es mir auch mit den vornehmeren Au-
stern, deren Charakter zwar indifferenter, zugleich aber merklich
feiner und anregender ist. Ich hatte glücklicherweise ihre Be-
kanntschaft privatim gemacht und wußte schon sehr wohl mit
ihnen zu verfahren, als ich die peinigende Verlegenheit eines
jungen Mannes mit Bedauern zu beobachten Gelegenheit hatte,
welcher zu einem noblen Gastmahl geladen, zum ersten Mal Au-
stern begegnete, sich zu gestehen schämte, er wisse nicht damit
umzugehen, und gleichwohl das Ungewohnte, Ungekannte nicht
zu schlucken wagte, aus Mißtrauen gegen seinen Magen und
aus Furcht, durch Eclat noch anstößiger zu werden. Blos
durch diese Kleinigkeit verlor der junge Mann bei fast jedem,
der es sah, alles Zutrauen und galt für nichts.

Aber nicht blos deßhalb sollte man trachten, jeder Speise
Herr zu werden, sondern je mehr im ganzen Bereiche der Natur
und des Lebens für den Menschen Ungenießbares ist, je weniger
er sich daraus anzueignen vermag, um so ärmer ist die ganze
Welt für den Menschen, und also er selber auch. So geben sich
auch manche, besonders Frauen und junge Männer, so unbe-
dingt den ersten Eindrücken hin, daß sie ein für allemal gewisse
Speisen oder Menschen nicht leiden mögen, deren sie sich nun
auch durch stetes Abstoßen dauernd berauben und dadurch, wie
sich oft zu spät (z. B. wenn sie keine Zähne mehr haben) mit
schmerzlicher Reue ergiebt, um die schönsten Beziehungen und
Genüsse kommen. Manche Idiosynkrasieen haben aber einen
rein moralischen Ursprung und deren Aeußerungen deuten auf
entsprechende Defekte hin. So können es Manche nicht leiden,
wenn von einem nicht angenommenen Duell, von Nasenstü-
bern, von Davonlaufen, von außerehelicher Schwangerschaft, von
Nasen und dergleichen gesprochen wird. Olaus Borrichius
erzählt von einem Weinwirthe, der, so oft er Essig sah, mit

einer ſauerſuͤßen Wurſt mit Mandeln und Roſinen bei weitem
vor — und er verdient es — ſondern ich eſſe ihn jetzt mit der
groͤßten Luſt. So ging es mir auch mit den vornehmeren Au-
ſtern, deren Charakter zwar indifferenter, zugleich aber merklich
feiner und anregender iſt. Ich hatte gluͤcklicherweiſe ihre Be-
kanntſchaft privatim gemacht und wußte ſchon ſehr wohl mit
ihnen zu verfahren, als ich die peinigende Verlegenheit eines
jungen Mannes mit Bedauern zu beobachten Gelegenheit hatte,
welcher zu einem noblen Gaſtmahl geladen, zum erſten Mal Au-
ſtern begegnete, ſich zu geſtehen ſchaͤmte, er wiſſe nicht damit
umzugehen, und gleichwohl das Ungewohnte, Ungekannte nicht
zu ſchlucken wagte, aus Mißtrauen gegen ſeinen Magen und
aus Furcht, durch Eclat noch anſtoͤßiger zu werden. Blos
durch dieſe Kleinigkeit verlor der junge Mann bei faſt jedem,
der es ſah, alles Zutrauen und galt fuͤr nichts.

Aber nicht blos deßhalb ſollte man trachten, jeder Speiſe
Herr zu werden, ſondern je mehr im ganzen Bereiche der Natur
und des Lebens fuͤr den Menſchen Ungenießbares iſt, je weniger
er ſich daraus anzueignen vermag, um ſo aͤrmer iſt die ganze
Welt fuͤr den Menſchen, und alſo er ſelber auch. So geben ſich
auch manche, beſonders Frauen und junge Maͤnner, ſo unbe-
dingt den erſten Eindruͤcken hin, daß ſie ein fuͤr allemal gewiſſe
Speiſen oder Menſchen nicht leiden moͤgen, deren ſie ſich nun
auch durch ſtetes Abſtoßen dauernd berauben und dadurch, wie
ſich oft zu ſpaͤt (z. B. wenn ſie keine Zaͤhne mehr haben) mit
ſchmerzlicher Reue ergiebt, um die ſchoͤnſten Beziehungen und
Genuͤſſe kommen. Manche Idioſynkraſieen haben aber einen
rein moraliſchen Urſprung und deren Aeußerungen deuten auf
entſprechende Defekte hin. So koͤnnen es Manche nicht leiden,
wenn von einem nicht angenommenen Duell, von Naſenſtuͤ-
bern, von Davonlaufen, von außerehelicher Schwangerſchaft, von
Naſen und dergleichen geſprochen wird. Olaus Borrichius
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[108/0122] einer ſauerſuͤßen Wurſt mit Mandeln und Roſinen bei weitem vor — und er verdient es — ſondern ich eſſe ihn jetzt mit der groͤßten Luſt. So ging es mir auch mit den vornehmeren Au- ſtern, deren Charakter zwar indifferenter, zugleich aber merklich feiner und anregender iſt. Ich hatte gluͤcklicherweiſe ihre Be- kanntſchaft privatim gemacht und wußte ſchon ſehr wohl mit ihnen zu verfahren, als ich die peinigende Verlegenheit eines jungen Mannes mit Bedauern zu beobachten Gelegenheit hatte, welcher zu einem noblen Gaſtmahl geladen, zum erſten Mal Au- ſtern begegnete, ſich zu geſtehen ſchaͤmte, er wiſſe nicht damit umzugehen, und gleichwohl das Ungewohnte, Ungekannte nicht zu ſchlucken wagte, aus Mißtrauen gegen ſeinen Magen und aus Furcht, durch Eclat noch anſtoͤßiger zu werden. Blos durch dieſe Kleinigkeit verlor der junge Mann bei faſt jedem, der es ſah, alles Zutrauen und galt fuͤr nichts. Aber nicht blos deßhalb ſollte man trachten, jeder Speiſe Herr zu werden, ſondern je mehr im ganzen Bereiche der Natur und des Lebens fuͤr den Menſchen Ungenießbares iſt, je weniger er ſich daraus anzueignen vermag, um ſo aͤrmer iſt die ganze Welt fuͤr den Menſchen, und alſo er ſelber auch. So geben ſich auch manche, beſonders Frauen und junge Maͤnner, ſo unbe- dingt den erſten Eindruͤcken hin, daß ſie ein fuͤr allemal gewiſſe Speiſen oder Menſchen nicht leiden moͤgen, deren ſie ſich nun auch durch ſtetes Abſtoßen dauernd berauben und dadurch, wie ſich oft zu ſpaͤt (z. B. wenn ſie keine Zaͤhne mehr haben) mit ſchmerzlicher Reue ergiebt, um die ſchoͤnſten Beziehungen und Genuͤſſe kommen. Manche Idioſynkraſieen haben aber einen rein moraliſchen Urſprung und deren Aeußerungen deuten auf entſprechende Defekte hin. So koͤnnen es Manche nicht leiden, wenn von einem nicht angenommenen Duell, von Naſenſtuͤ- bern, von Davonlaufen, von außerehelicher Schwangerſchaft, von Naſen und dergleichen geſprochen wird. Olaus Borrichius erzaͤhlt von einem Weinwirthe, der, ſo oft er Eſſig ſah, mit

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/122>, abgerufen am 21.11.2024.