Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.unverfänglichsten, die der civilisirte Mensch aufzutreiben im "-- Und knackten jede schöne Nuß Noch einmal in Gedanken auf. --" Welch' eine spirituelle Multiplication der einzelnen Mit- Der Mensch soll gesellig sein und gesellig essen. Sancho unverfaͤnglichſten, die der civiliſirte Menſch aufzutreiben im „— Und knackten jede ſchoͤne Nuß Noch einmal in Gedanken auf. —“ Welch’ eine ſpirituelle Multiplication der einzelnen Mit- Der Menſch ſoll geſellig ſein und geſellig eſſen. Sancho <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0126" n="112"/> unverfaͤnglichſten, die der civiliſirte Menſch aufzutreiben im<lb/> Stande iſt, eignen ſich daher fuͤr Reſidenzſtaͤdte, Regierungs-<lb/> ſitze und andere ſolch’ ſchoͤne menſchliche Niederlaſſungen vor-<lb/> zuͤglich. Doch auch weniger hoch ſtehende Zirkel ergoͤtzen ſich<lb/> mit Recht an der Harmloſigkeit dieſes Sprechobjektes. Wie<lb/> patriarchaliſch freundlich iſt es, wenn Sonntags in der Abend-<lb/> compagnie bei einem Kruge Bier der Buͤrger ſeinen Nachbarn<lb/> erzaͤhlt, was er zu Mittag gegeſſen, wie gut es ſeine Frau gekocht,<lb/> und wie es ihm und ſeinem kleinen Gottlieb wohlgeſchmeckt.<lb/> In ſchoͤner Theilnahme ißt jeder Nachbar in Gedanken mit, und<lb/> erzaͤhlt auch ſeinerſeits, was ihm geſchmeckt, und es iſt billig,<lb/> daß jeder an die Reihe des Erzaͤhlens kommt.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„— Und knackten jede ſchoͤne Nuß</l><lb/> <l>Noch einmal in Gedanken auf. —“</l> </lg><lb/> <p>Welch’ eine ſpirituelle Multiplication der einzelnen Mit-<lb/> tageſſen, welche Menge der vielfachſten fetten und magern, ſauren<lb/> und ſuͤßen Erinnerungen, welche edle Einfalt der Sitten, wel-<lb/> che unbedenkliche Ruhe des Staatsbuͤrgers.</p><lb/> <p>Der Menſch ſoll geſellig ſein und geſellig eſſen. <hi rendition="#g">Sancho<lb/> Panſa</hi> ſagt zwar: „haͤtte ich etwas Gutes zu eſſen, ſo wuͤrde<lb/> es mir ſtehend und fuͤr mich eben ſo gut und beſſer ſchmecken,<lb/> als wenn ich einem Kaiſer zur Seite ſaͤße. Und es heißt wohl<lb/> in Wahrheit, weit beſſer ſchmeckt, was ich in meinem Winkel-<lb/> chen verzehre, ohne Complimente und Reverenz, und wenn es<lb/> Brod und Zwiebeln waͤren, als die waͤlſchen Haͤhne vornehmer<lb/> Tafeln, wo ich gezwungen bin, langſam zu kauen, wenig zu<lb/> trinken, mir oft den Mund zu wiſchen, nicht zu nießen, noch<lb/> zu huſten, wenn mir die Luſt ankommt, noch ſonſt Etwas zu<lb/> thun, was Alleinſein und Ungebundenheit mit ſich bringt.“<lb/> Dieß ſind aber unanſtaͤndige Anſichten eines Naturaliſten. <hi rendition="#g">Jean<lb/> Paul</hi> behauptet dagegen, daß durch Tiſchgeſpraͤche das Eſſen<lb/> erſt ein menſchliches werde. <hi rendition="#g">Kant</hi> empfiehlt das geſellige Eſſen<lb/> deßhalb, weil deſſen anregende Geſpraͤche die periſtaltiſche Be-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [112/0126]
unverfaͤnglichſten, die der civiliſirte Menſch aufzutreiben im
Stande iſt, eignen ſich daher fuͤr Reſidenzſtaͤdte, Regierungs-
ſitze und andere ſolch’ ſchoͤne menſchliche Niederlaſſungen vor-
zuͤglich. Doch auch weniger hoch ſtehende Zirkel ergoͤtzen ſich
mit Recht an der Harmloſigkeit dieſes Sprechobjektes. Wie
patriarchaliſch freundlich iſt es, wenn Sonntags in der Abend-
compagnie bei einem Kruge Bier der Buͤrger ſeinen Nachbarn
erzaͤhlt, was er zu Mittag gegeſſen, wie gut es ſeine Frau gekocht,
und wie es ihm und ſeinem kleinen Gottlieb wohlgeſchmeckt.
In ſchoͤner Theilnahme ißt jeder Nachbar in Gedanken mit, und
erzaͤhlt auch ſeinerſeits, was ihm geſchmeckt, und es iſt billig,
daß jeder an die Reihe des Erzaͤhlens kommt.
„— Und knackten jede ſchoͤne Nuß
Noch einmal in Gedanken auf. —“
Welch’ eine ſpirituelle Multiplication der einzelnen Mit-
tageſſen, welche Menge der vielfachſten fetten und magern, ſauren
und ſuͤßen Erinnerungen, welche edle Einfalt der Sitten, wel-
che unbedenkliche Ruhe des Staatsbuͤrgers.
Der Menſch ſoll geſellig ſein und geſellig eſſen. Sancho
Panſa ſagt zwar: „haͤtte ich etwas Gutes zu eſſen, ſo wuͤrde
es mir ſtehend und fuͤr mich eben ſo gut und beſſer ſchmecken,
als wenn ich einem Kaiſer zur Seite ſaͤße. Und es heißt wohl
in Wahrheit, weit beſſer ſchmeckt, was ich in meinem Winkel-
chen verzehre, ohne Complimente und Reverenz, und wenn es
Brod und Zwiebeln waͤren, als die waͤlſchen Haͤhne vornehmer
Tafeln, wo ich gezwungen bin, langſam zu kauen, wenig zu
trinken, mir oft den Mund zu wiſchen, nicht zu nießen, noch
zu huſten, wenn mir die Luſt ankommt, noch ſonſt Etwas zu
thun, was Alleinſein und Ungebundenheit mit ſich bringt.“
Dieß ſind aber unanſtaͤndige Anſichten eines Naturaliſten. Jean
Paul behauptet dagegen, daß durch Tiſchgeſpraͤche das Eſſen
erſt ein menſchliches werde. Kant empfiehlt das geſellige Eſſen
deßhalb, weil deſſen anregende Geſpraͤche die periſtaltiſche Be-
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