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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Einfachste: er faste und warte mit Geduld und Hoffnung auf
neuen Appetit.

Eine aufgeklärte Diätetik ist längst davon zurückgekommen,
gewisse Speisen durchaus als schwerverdaulich, blähend, als
leichtverdaulich etc. zu erklären, weil alles das relativ ist. Es
giebt überhaupt wenige für Jeden giltige, allgemein stichhaltige
diätetische Regeln. Ja selbst der ausgesprochene, als Regel
geltende Satz: "Dasjenige ist Dir gesund, was Dir schmeckt"
erleidet nach der Individualität, nach Geschlecht, Lebensalter,
Temperament und Stand nicht unbedeutende Modificationen.
Und davon soll schließlich die Rede sein. Erschöpft wird freilich
die Sache erst durch das in der nächsten Vorlesung zu begrün-
dende Eßprinzip.

Es ist zum Leben wie zum Essen Selbst- und Weltkenntniß
nöthig und nützlich, so traurig auch in einzelnen Fällen die
Erfahrung sowohl eigner Magenschwäche, als ungenießbarer
oder unverdaulicher Außenwelt sein mag. Freilich lehrt Wissen-
schaft und Leben, daß, wer seinen Magen überhaupt fühlt, eo
ipso
schon einen kranken Magen hat, da der Gesunde den
Teufel weiß und darnach fragt, ob er einen und was für einen
Magen er hat, und Goethe hat auch in anderer Hinsicht mit
seiner Persiflage des abgedroschenen gnothi seauton! so Unrecht
nicht, als Viele behaupten, die sich gerade selbst am wenigsten
kennen. Der eigentliche Eßkünstler findet auch bei Platon
fast nichts Genießbares und Schmackhaftes -- eher noch bei
Socrates selber -- und wendet sich entschieden mit Aristo-
teles
der daseienden Welt zu. Es genügt aber meinem Zweck,
hier zunächst auf einige Täuschungen hinzudeuten, die dem an-
gehenden Eßkünstler widerfahren können. So kann es sehr leicht
vorkommen, daß er einen schwachen Magen zu haben glaubt,
weil er manche Speisen, die ihm von gewichtigen Auktoritäten
als nahrhaft und gut geschildert wurden, geschmacklos, fad und

Einfachſte: er faſte und warte mit Geduld und Hoffnung auf
neuen Appetit.

Eine aufgeklaͤrte Diaͤtetik iſt laͤngſt davon zuruͤckgekommen,
gewiſſe Speiſen durchaus als ſchwerverdaulich, blaͤhend, als
leichtverdaulich ꝛc. zu erklaͤren, weil alles das relativ iſt. Es
giebt uͤberhaupt wenige fuͤr Jeden giltige, allgemein ſtichhaltige
diaͤtetiſche Regeln. Ja ſelbſt der ausgeſprochene, als Regel
geltende Satz: „Dasjenige iſt Dir geſund, was Dir ſchmeckt“
erleidet nach der Individualitaͤt, nach Geſchlecht, Lebensalter,
Temperament und Stand nicht unbedeutende Modificationen.
Und davon ſoll ſchließlich die Rede ſein. Erſchoͤpft wird freilich
die Sache erſt durch das in der naͤchſten Vorleſung zu begruͤn-
dende Eßprinzip.

Es iſt zum Leben wie zum Eſſen Selbſt- und Weltkenntniß
noͤthig und nuͤtzlich, ſo traurig auch in einzelnen Faͤllen die
Erfahrung ſowohl eigner Magenſchwaͤche, als ungenießbarer
oder unverdaulicher Außenwelt ſein mag. Freilich lehrt Wiſſen-
ſchaft und Leben, daß, wer ſeinen Magen uͤberhaupt fuͤhlt, eo
ipso
ſchon einen kranken Magen hat, da der Geſunde den
Teufel weiß und darnach fragt, ob er einen und was fuͤr einen
Magen er hat, und Goethe hat auch in anderer Hinſicht mit
ſeiner Perſiflage des abgedroſchenen γνωϑι σεαυτον! ſo Unrecht
nicht, als Viele behaupten, die ſich gerade ſelbſt am wenigſten
kennen. Der eigentliche Eßkuͤnſtler findet auch bei Platon
faſt nichts Genießbares und Schmackhaftes — eher noch bei
Socrates ſelber — und wendet ſich entſchieden mit Ariſto-
teles
der daſeienden Welt zu. Es genuͤgt aber meinem Zweck,
hier zunaͤchſt auf einige Taͤuſchungen hinzudeuten, die dem an-
gehenden Eßkuͤnſtler widerfahren koͤnnen. So kann es ſehr leicht
vorkommen, daß er einen ſchwachen Magen zu haben glaubt,
weil er manche Speiſen, die ihm von gewichtigen Auktoritaͤten
als nahrhaft und gut geſchildert wurden, geſchmacklos, fad und

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[132/0146] Einfachſte: er faſte und warte mit Geduld und Hoffnung auf neuen Appetit. Eine aufgeklaͤrte Diaͤtetik iſt laͤngſt davon zuruͤckgekommen, gewiſſe Speiſen durchaus als ſchwerverdaulich, blaͤhend, als leichtverdaulich ꝛc. zu erklaͤren, weil alles das relativ iſt. Es giebt uͤberhaupt wenige fuͤr Jeden giltige, allgemein ſtichhaltige diaͤtetiſche Regeln. Ja ſelbſt der ausgeſprochene, als Regel geltende Satz: „Dasjenige iſt Dir geſund, was Dir ſchmeckt“ erleidet nach der Individualitaͤt, nach Geſchlecht, Lebensalter, Temperament und Stand nicht unbedeutende Modificationen. Und davon ſoll ſchließlich die Rede ſein. Erſchoͤpft wird freilich die Sache erſt durch das in der naͤchſten Vorleſung zu begruͤn- dende Eßprinzip. Es iſt zum Leben wie zum Eſſen Selbſt- und Weltkenntniß noͤthig und nuͤtzlich, ſo traurig auch in einzelnen Faͤllen die Erfahrung ſowohl eigner Magenſchwaͤche, als ungenießbarer oder unverdaulicher Außenwelt ſein mag. Freilich lehrt Wiſſen- ſchaft und Leben, daß, wer ſeinen Magen uͤberhaupt fuͤhlt, eo ipso ſchon einen kranken Magen hat, da der Geſunde den Teufel weiß und darnach fragt, ob er einen und was fuͤr einen Magen er hat, und Goethe hat auch in anderer Hinſicht mit ſeiner Perſiflage des abgedroſchenen γνωϑι σεαυτον! ſo Unrecht nicht, als Viele behaupten, die ſich gerade ſelbſt am wenigſten kennen. Der eigentliche Eßkuͤnſtler findet auch bei Platon faſt nichts Genießbares und Schmackhaftes — eher noch bei Socrates ſelber — und wendet ſich entſchieden mit Ariſto- teles der daſeienden Welt zu. Es genuͤgt aber meinem Zweck, hier zunaͤchſt auf einige Taͤuſchungen hinzudeuten, die dem an- gehenden Eßkuͤnſtler widerfahren koͤnnen. So kann es ſehr leicht vorkommen, daß er einen ſchwachen Magen zu haben glaubt, weil er manche Speiſen, die ihm von gewichtigen Auktoritaͤten als nahrhaft und gut geſchildert wurden, geſchmacklos, fad und

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/146>, abgerufen am 21.11.2024.