Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.studirt nicht gern" das ist die Vogelscheuche. Und nun glaubt Man genire sich doch nicht und esse, und zwar möglich Darüber nun, welche Speisen gewissen Ständen vorzüglich Man mag sagen, und die Sache benennen, wie man will, ſtudirt nicht gern“ das iſt die Vogelſcheuche. Und nun glaubt Man genire ſich doch nicht und eſſe, und zwar moͤglich Daruͤber nun, welche Speiſen gewiſſen Staͤnden vorzuͤglich Man mag ſagen, und die Sache benennen, wie man will, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0149" n="135"/> ſtudirt nicht gern“ das iſt die Vogelſcheuche. Und nun glaubt<lb/> man, um fuͤr einen Gelehrten, Denker, Dichter zu paſſiren,<lb/> muͤſſe man thun, als ob man von der Luft lebte. Ihr Ungluͤck-<lb/> ſeligen, iſt denn dieſer hohle, leere, dumme Schein eine einzige<lb/> Bratwurſt werth, die ihr dagegen gebt? oder glaubt ihr wirklich<lb/> bei leeren und ſchwachen Magen was Tuͤchtiges produziren zu<lb/> koͤnnen? — Lacht doch das dumme Volk aus, das, wenn es<lb/> Euch einmal eſſen geſehen, gleich ſchreit: ſeine Poeſie iſt zu<lb/> ſinnlich, ſeine Metaphyſik zu materialiſtiſch, ſeine Gelehrſamkeit<lb/> nicht abſtrakt genug.</p><lb/> <p>Man genire ſich doch nicht und eſſe, und zwar moͤglich<lb/> gut, und halte ſich uͤberzeugt, daß es gerade ſo mit Denken,<lb/> Dichten und Thun am beſten gehen und ſtehen wird.</p><lb/> <p>Daruͤber nun, welche Speiſen gewiſſen Staͤnden vorzuͤglich<lb/> zuſagen muͤßten, ließe ſich manches ſehr Spezielle bemerken. —<lb/><hi rendition="#g">Mercier</hi> ſagt jedoch: „jeder Stand, jede Profeſſion hat einen<lb/> eigenen Charakter; wer aber deßhalb glaubt, ein Schneider<lb/> ſei ein Schneider, und ein Soldat ein Soldat, hat es in<lb/> der Menſchenkenntniß noch nicht weit gebracht.“ Man ſieht<lb/> alſo, daß dabei nichts herauskaͤme. So begruͤnden auch ehe-<lb/> liche oder Coͤlibats-Verhaͤltniſſe an und fuͤr ſich in fraglicher<lb/> Hinſicht bekanntlich keinen Unterſchied. Erſprießlicher iſt es,<lb/> vom Temperaments-Verhaͤltniſſe das Noͤthige zu bemerken.</p><lb/> <p>Man mag ſagen, und die Sache benennen, wie man will,<lb/> ſo giebt’s doch ſanguiniſche, choleriſche, melancholiſche und phleg-<lb/> matiſche, oder leichtbluͤtige, warmbluͤtige, ſchwerbluͤtige und kalt-<lb/> bluͤtige Menſchen. Die Sache liegt im Blut, und daß das<lb/> Blut aus Speiſe und Trank ſich bildet, weiß jeder. Es liegt<lb/> alſo auf offener Hand, wie wichtig fuͤr je einzelne Tempera-<lb/> mente je einzelne Speiſen ſind. Dieß wurde auch laͤngſt er-<lb/> kannt, die Sache aber immer ſo aufgegriffen, daß den einzelnen<lb/> Temperamenten immer entgegengeſetzte Speiſen zu waͤhlen ſeien.<lb/> Allerdings iſt’s richtig, daß z. B. Leute, die den <hi rendition="#g">Tiedge</hi> leſen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0149]
ſtudirt nicht gern“ das iſt die Vogelſcheuche. Und nun glaubt
man, um fuͤr einen Gelehrten, Denker, Dichter zu paſſiren,
muͤſſe man thun, als ob man von der Luft lebte. Ihr Ungluͤck-
ſeligen, iſt denn dieſer hohle, leere, dumme Schein eine einzige
Bratwurſt werth, die ihr dagegen gebt? oder glaubt ihr wirklich
bei leeren und ſchwachen Magen was Tuͤchtiges produziren zu
koͤnnen? — Lacht doch das dumme Volk aus, das, wenn es
Euch einmal eſſen geſehen, gleich ſchreit: ſeine Poeſie iſt zu
ſinnlich, ſeine Metaphyſik zu materialiſtiſch, ſeine Gelehrſamkeit
nicht abſtrakt genug.
Man genire ſich doch nicht und eſſe, und zwar moͤglich
gut, und halte ſich uͤberzeugt, daß es gerade ſo mit Denken,
Dichten und Thun am beſten gehen und ſtehen wird.
Daruͤber nun, welche Speiſen gewiſſen Staͤnden vorzuͤglich
zuſagen muͤßten, ließe ſich manches ſehr Spezielle bemerken. —
Mercier ſagt jedoch: „jeder Stand, jede Profeſſion hat einen
eigenen Charakter; wer aber deßhalb glaubt, ein Schneider
ſei ein Schneider, und ein Soldat ein Soldat, hat es in
der Menſchenkenntniß noch nicht weit gebracht.“ Man ſieht
alſo, daß dabei nichts herauskaͤme. So begruͤnden auch ehe-
liche oder Coͤlibats-Verhaͤltniſſe an und fuͤr ſich in fraglicher
Hinſicht bekanntlich keinen Unterſchied. Erſprießlicher iſt es,
vom Temperaments-Verhaͤltniſſe das Noͤthige zu bemerken.
Man mag ſagen, und die Sache benennen, wie man will,
ſo giebt’s doch ſanguiniſche, choleriſche, melancholiſche und phleg-
matiſche, oder leichtbluͤtige, warmbluͤtige, ſchwerbluͤtige und kalt-
bluͤtige Menſchen. Die Sache liegt im Blut, und daß das
Blut aus Speiſe und Trank ſich bildet, weiß jeder. Es liegt
alſo auf offener Hand, wie wichtig fuͤr je einzelne Tempera-
mente je einzelne Speiſen ſind. Dieß wurde auch laͤngſt er-
kannt, die Sache aber immer ſo aufgegriffen, daß den einzelnen
Temperamenten immer entgegengeſetzte Speiſen zu waͤhlen ſeien.
Allerdings iſt’s richtig, daß z. B. Leute, die den Tiedge leſen,
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