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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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dasselbe gerade beim Stiel anzufassen. Dieß läßt allerdings bei
Trauben z. B. gut; mehr als überflüssig ist dieser Rath aber,
wenn das Obst gar keinen Stiel hat.

Hippel bemerkt schön: Obst aus Frauenzimmerhänden
wäre wie beinahe vom Baume. --

Da ich vom Essen handle, kann ich zwar die Tischgespräche
nicht umgehen, aber eben so wenig lange dabei verweilen.

Wenn es allerdings unschicklich ist, Speisen zu tadeln, so
ist's doch auch höchst lästig, sie in Einem fort loben zu sollen.
Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Essen. Ach,
wie manches Gastmahl, wie manche Kunstsammlung ist mir
dadurch schon auf's Trübste verleidet worden! Die Eßkunst ist
eine freie Kunst, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Essen
und Loben ist gleich verhaßt. Wie schrecklich ist's, wenn einem
was schmecken muß! -- Lob aber mit Diskretion, z. B. nur
durch strahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, starkes
Essen etc. ausgedrückt, ist oft viel aus- und eindrucksvoller und
viel wahrer, ermuthigt auch Andere sehr; wie umgekehrt eine
widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit stören kann und
überhaupt unverzeihlich ist.

Während nun aber die Kunstkritik ein modifirtes Urtheil
verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schön! Sehr gut!
Sehr schön! Vortrefflich! etc. als eigentlich nichtssagend mit
Recht verwirft, so sind gerade bei Urtheilen über Speisen weitere
Modifirungen und Begründungen unzulässig, und z. B. die
mit Ausdruck und entsprechenden Gesichtszügen vorgebrachte
kurze Interjektion: "Delikat!" -- ist hier viel besser als die
längste Auseinandersetzung eines Urtheils.

Goethe sagt als Hofmann sehr richtig: Von rechts-
wegen soll eine gesellige Unterhaltung nur etwas mehr als
nichts sein. -- Es ist aber schwerer, als mancher glaubt, Nichts
zu sagen. Auch haben die wenigsten Menschen (manche aber
wider Wissen und Willen) diese hohe Stufe der Civilisation

daſſelbe gerade beim Stiel anzufaſſen. Dieß laͤßt allerdings bei
Trauben z. B. gut; mehr als uͤberfluͤſſig iſt dieſer Rath aber,
wenn das Obſt gar keinen Stiel hat.

Hippel bemerkt ſchoͤn: Obſt aus Frauenzimmerhaͤnden
waͤre wie beinahe vom Baume. —

Da ich vom Eſſen handle, kann ich zwar die Tiſchgeſpraͤche
nicht umgehen, aber eben ſo wenig lange dabei verweilen.

Wenn es allerdings unſchicklich iſt, Speiſen zu tadeln, ſo
iſt’s doch auch hoͤchſt laͤſtig, ſie in Einem fort loben zu ſollen.
Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Eſſen. Ach,
wie manches Gaſtmahl, wie manche Kunſtſammlung iſt mir
dadurch ſchon auf’s Truͤbſte verleidet worden! Die Eßkunſt iſt
eine freie Kunſt, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Eſſen
und Loben iſt gleich verhaßt. Wie ſchrecklich iſt’s, wenn einem
was ſchmecken muß! — Lob aber mit Diskretion, z. B. nur
durch ſtrahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, ſtarkes
Eſſen ꝛc. ausgedruͤckt, iſt oft viel aus- und eindrucksvoller und
viel wahrer, ermuthigt auch Andere ſehr; wie umgekehrt eine
widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit ſtoͤren kann und
uͤberhaupt unverzeihlich iſt.

Waͤhrend nun aber die Kunſtkritik ein modifirtes Urtheil
verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schoͤn! Sehr gut!
Sehr ſchoͤn! Vortrefflich! ꝛc. als eigentlich nichtsſagend mit
Recht verwirft, ſo ſind gerade bei Urtheilen uͤber Speiſen weitere
Modifirungen und Begruͤndungen unzulaͤſſig, und z. B. die
mit Ausdruck und entſprechenden Geſichtszuͤgen vorgebrachte
kurze Interjektion: „Delikat!“ — iſt hier viel beſſer als die
laͤngſte Auseinanderſetzung eines Urtheils.

Goethe ſagt als Hofmann ſehr richtig: Von rechts-
wegen ſoll eine geſellige Unterhaltung nur etwas mehr als
nichts ſein. — Es iſt aber ſchwerer, als mancher glaubt, Nichts
zu ſagen. Auch haben die wenigſten Menſchen (manche aber
wider Wiſſen und Willen) dieſe hohe Stufe der Civiliſation

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[185/0199] daſſelbe gerade beim Stiel anzufaſſen. Dieß laͤßt allerdings bei Trauben z. B. gut; mehr als uͤberfluͤſſig iſt dieſer Rath aber, wenn das Obſt gar keinen Stiel hat. Hippel bemerkt ſchoͤn: Obſt aus Frauenzimmerhaͤnden waͤre wie beinahe vom Baume. — Da ich vom Eſſen handle, kann ich zwar die Tiſchgeſpraͤche nicht umgehen, aber eben ſo wenig lange dabei verweilen. Wenn es allerdings unſchicklich iſt, Speiſen zu tadeln, ſo iſt’s doch auch hoͤchſt laͤſtig, ſie in Einem fort loben zu ſollen. Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Eſſen. Ach, wie manches Gaſtmahl, wie manche Kunſtſammlung iſt mir dadurch ſchon auf’s Truͤbſte verleidet worden! Die Eßkunſt iſt eine freie Kunſt, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Eſſen und Loben iſt gleich verhaßt. Wie ſchrecklich iſt’s, wenn einem was ſchmecken muß! — Lob aber mit Diskretion, z. B. nur durch ſtrahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, ſtarkes Eſſen ꝛc. ausgedruͤckt, iſt oft viel aus- und eindrucksvoller und viel wahrer, ermuthigt auch Andere ſehr; wie umgekehrt eine widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit ſtoͤren kann und uͤberhaupt unverzeihlich iſt. Waͤhrend nun aber die Kunſtkritik ein modifirtes Urtheil verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schoͤn! Sehr gut! Sehr ſchoͤn! Vortrefflich! ꝛc. als eigentlich nichtsſagend mit Recht verwirft, ſo ſind gerade bei Urtheilen uͤber Speiſen weitere Modifirungen und Begruͤndungen unzulaͤſſig, und z. B. die mit Ausdruck und entſprechenden Geſichtszuͤgen vorgebrachte kurze Interjektion: „Delikat!“ — iſt hier viel beſſer als die laͤngſte Auseinanderſetzung eines Urtheils. Goethe ſagt als Hofmann ſehr richtig: Von rechts- wegen ſoll eine geſellige Unterhaltung nur etwas mehr als nichts ſein. — Es iſt aber ſchwerer, als mancher glaubt, Nichts zu ſagen. Auch haben die wenigſten Menſchen (manche aber wider Wiſſen und Willen) dieſe hohe Stufe der Civiliſation

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/199>, abgerufen am 24.11.2024.