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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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erreicht. Die Meisten betrachten Essen und Reden überhaupt
wie Ein- und Ausathmen, und mögen lieber gar nicht essen,
wo sie nicht etwas sagen dürfen.

Die Hauptsache ist, wenigstens bei'm Essen Heiteres,
Leichtes, Appetitliches, Objektives, Freundliches, Angenehmes,
Wohlwollendes zu sagen und von allem dem das Gegentheil zu
vermeiden, wie denn auch Sirach spricht: Pfeifen und Har-
fen lauten wohl, aber eine freundliche Rede besser, denn die
Beide. Unter jenem Leichten ist aber nichts weniger als
Anekdoten gemeint. Es ist allemal vorauszusetzen, daß von
vierundzwanzig erzählten Anekdoten dreiundzwanzig bereits
Anderen bekannt sind, die nun die Pein haben, thun zu müssen,
als erführen sie dieselben zum ersten Mal. Mit den in diesen
Vorlesungen erzählten verhält es sich ganz anders. Die sind
alle funkelneu.

Gerathen Gäste in Disput, so rede man ja nichts drein.
Wird man zu einem Urtheil aufgefordert, so sage man: die
Wahrheit liegt in die Mitte, -- und esse ruhig weiter. Während
Andere disputiren, hat man Gelegenheit, die schmackhaftesten
Bissen zu Leibe zu nehmen.

Uebrigens ist beim Essen jedes andere heitere Gespräch
passender und interessanter, als eins über's Essen. Weiteres
würde mich zu weit abführen. Gegen eine gewisse, Essen und
Sprechen gleichmäßig beeinträchtigende, Aufregung, genirte
Spannung und zappelnde Ungeduld, welche jungen Leuten bei
größeren Gastmählern und ungewohnter zahlreicherer Umgebung
eigen zu sein pflegt, in welcher sie besonders leicht Gefahr lau-
fen, dumm zu reden, helfen Regeln nichts, sondern, wenn über-
haupt etwas, allein Zeit und Uebung. Gut ist's, Sirach's
Rath zu befolgen: Ein Jüngling mag auch wohl reden ein
Mal oder zwei, wenn's ihm noth ist, und wenn man ihn
fraget, soll er's kurz machen, und sich halten, als der nicht viel

erreicht. Die Meiſten betrachten Eſſen und Reden uͤberhaupt
wie Ein- und Ausathmen, und moͤgen lieber gar nicht eſſen,
wo ſie nicht etwas ſagen duͤrfen.

Die Hauptſache iſt, wenigſtens bei’m Eſſen Heiteres,
Leichtes, Appetitliches, Objektives, Freundliches, Angenehmes,
Wohlwollendes zu ſagen und von allem dem das Gegentheil zu
vermeiden, wie denn auch Sirach ſpricht: Pfeifen und Har-
fen lauten wohl, aber eine freundliche Rede beſſer, denn die
Beide. Unter jenem Leichten iſt aber nichts weniger als
Anekdoten gemeint. Es iſt allemal vorauszuſetzen, daß von
vierundzwanzig erzaͤhlten Anekdoten dreiundzwanzig bereits
Anderen bekannt ſind, die nun die Pein haben, thun zu muͤſſen,
als erfuͤhren ſie dieſelben zum erſten Mal. Mit den in dieſen
Vorleſungen erzaͤhlten verhaͤlt es ſich ganz anders. Die ſind
alle funkelneu.

Gerathen Gaͤſte in Disput, ſo rede man ja nichts drein.
Wird man zu einem Urtheil aufgefordert, ſo ſage man: die
Wahrheit liegt in die Mitte, — und eſſe ruhig weiter. Waͤhrend
Andere disputiren, hat man Gelegenheit, die ſchmackhafteſten
Biſſen zu Leibe zu nehmen.

Uebrigens iſt beim Eſſen jedes andere heitere Geſpraͤch
paſſender und intereſſanter, als eins uͤber’s Eſſen. Weiteres
wuͤrde mich zu weit abfuͤhren. Gegen eine gewiſſe, Eſſen und
Sprechen gleichmaͤßig beeintraͤchtigende, Aufregung, genirte
Spannung und zappelnde Ungeduld, welche jungen Leuten bei
groͤßeren Gaſtmaͤhlern und ungewohnter zahlreicherer Umgebung
eigen zu ſein pflegt, in welcher ſie beſonders leicht Gefahr lau-
fen, dumm zu reden, helfen Regeln nichts, ſondern, wenn uͤber-
haupt etwas, allein Zeit und Uebung. Gut iſt’s, Sirach’s
Rath zu befolgen: Ein Juͤngling mag auch wohl reden ein
Mal oder zwei, wenn’s ihm noth iſt, und wenn man ihn
fraget, ſoll er’s kurz machen, und ſich halten, als der nicht viel

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[186/0200] erreicht. Die Meiſten betrachten Eſſen und Reden uͤberhaupt wie Ein- und Ausathmen, und moͤgen lieber gar nicht eſſen, wo ſie nicht etwas ſagen duͤrfen. Die Hauptſache iſt, wenigſtens bei’m Eſſen Heiteres, Leichtes, Appetitliches, Objektives, Freundliches, Angenehmes, Wohlwollendes zu ſagen und von allem dem das Gegentheil zu vermeiden, wie denn auch Sirach ſpricht: Pfeifen und Har- fen lauten wohl, aber eine freundliche Rede beſſer, denn die Beide. Unter jenem Leichten iſt aber nichts weniger als Anekdoten gemeint. Es iſt allemal vorauszuſetzen, daß von vierundzwanzig erzaͤhlten Anekdoten dreiundzwanzig bereits Anderen bekannt ſind, die nun die Pein haben, thun zu muͤſſen, als erfuͤhren ſie dieſelben zum erſten Mal. Mit den in dieſen Vorleſungen erzaͤhlten verhaͤlt es ſich ganz anders. Die ſind alle funkelneu. Gerathen Gaͤſte in Disput, ſo rede man ja nichts drein. Wird man zu einem Urtheil aufgefordert, ſo ſage man: die Wahrheit liegt in die Mitte, — und eſſe ruhig weiter. Waͤhrend Andere disputiren, hat man Gelegenheit, die ſchmackhafteſten Biſſen zu Leibe zu nehmen. Uebrigens iſt beim Eſſen jedes andere heitere Geſpraͤch paſſender und intereſſanter, als eins uͤber’s Eſſen. Weiteres wuͤrde mich zu weit abfuͤhren. Gegen eine gewiſſe, Eſſen und Sprechen gleichmaͤßig beeintraͤchtigende, Aufregung, genirte Spannung und zappelnde Ungeduld, welche jungen Leuten bei groͤßeren Gaſtmaͤhlern und ungewohnter zahlreicherer Umgebung eigen zu ſein pflegt, in welcher ſie beſonders leicht Gefahr lau- fen, dumm zu reden, helfen Regeln nichts, ſondern, wenn uͤber- haupt etwas, allein Zeit und Uebung. Gut iſt’s, Sirach’s Rath zu befolgen: Ein Juͤngling mag auch wohl reden ein Mal oder zwei, wenn’s ihm noth iſt, und wenn man ihn fraget, ſoll er’s kurz machen, und ſich halten, als der nicht viel

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/200>, abgerufen am 17.05.2024.