sonst sieht man ihn über die Achsel an, und sagt: er wäre aus dem Reich. Er lerne, was Rippespeer zu Deutsch heißt, ergötze sich an süß gebratnem Haasen, studire Mäßigkeit, wozu er sehr gute Gelegenheit hat, und übe sich, Thee und Butterbrod für ein Abendessen anzusehen. Zu eben so ergötzlichem als ver- dauungsbeförderndem Lachen wird er sich veranlaßt sehen, wenn er wahrnimmt, wie die dortigen Menschen ein Monopol auf die gesunde Vernunft zu haben glauben und dieß ihm selber sagen. Befremden darf es ihn nicht, wenn er eine nichts we- niger als kleine Rechnung bezahlt hat, und der Kellner bemerkt, er hätte gesehen, daß der Herr auch Senf genommen, dieß mache sechs Pfennige mehr. Ländlich, sittlich!
In Wien hat er dergleichen nicht zu besorgen und wenn er dem Kellner Mittags und Abends jedesmal sechs oder auch nur drei Kreuzer extra giebt, so wird er gut fahren. Es giebt aber in Wien eine gewisse Paprika-Sauce, womit Neuankömm- linge jezuweilen von älteren Kunstgenossen gehänselt werden. Wenn er weiß, daß Paprika auf Deutsch Capsicum annuum heißt, wird er die Warnung mit Dank erkennen. Liest er auf dem Speisezettel "Ungarisches Rebhuhn" so erwarte er nichts Besonderes, denn es ist blos Ochsenfuß.
Uebrigens bedarf es meiner Worte nicht, um erst darauf aufmerksam zu machen, wie viel in fraglicher Beziehung in der fröhlichen Kaiserstadt zu profitiren ist, wozu nicht das Geringste dazu beiträgt, zu sehen, daß es jedem schmeckt und daß sich's ringsum jeder schmecken läßt. Ich kenne keine andre Stadt, von der ich dieß im gleichen Maaße zu sagen wüßte. Im Ue- brigen aber steht's wie gegenwärtig anderwärts eben auch. Be- kanntlich ist Friedrich der Große und JosephII. gestorben.
Frankfurt am Main und die Rheingegenden werden den reisenden Eßkünstler zunächst mit der Musterhaftigkeit guter Be- dienung bekannt machen, die freilich von der in Paris übertroffen wird. Ich erinnerte daselbst einmal ein Beefsteak, welches, trotz der
ſonſt ſieht man ihn uͤber die Achſel an, und ſagt: er waͤre aus dem Reich. Er lerne, was Rippeſpeer zu Deutſch heißt, ergoͤtze ſich an ſuͤß gebratnem Haaſen, ſtudire Maͤßigkeit, wozu er ſehr gute Gelegenheit hat, und uͤbe ſich, Thee und Butterbrod fuͤr ein Abendeſſen anzuſehen. Zu eben ſo ergoͤtzlichem als ver- dauungsbefoͤrderndem Lachen wird er ſich veranlaßt ſehen, wenn er wahrnimmt, wie die dortigen Menſchen ein Monopol auf die geſunde Vernunft zu haben glauben und dieß ihm ſelber ſagen. Befremden darf es ihn nicht, wenn er eine nichts we- niger als kleine Rechnung bezahlt hat, und der Kellner bemerkt, er haͤtte geſehen, daß der Herr auch Senf genommen, dieß mache ſechs Pfennige mehr. Laͤndlich, ſittlich!
In Wien hat er dergleichen nicht zu beſorgen und wenn er dem Kellner Mittags und Abends jedesmal ſechs oder auch nur drei Kreuzer extra giebt, ſo wird er gut fahren. Es giebt aber in Wien eine gewiſſe Paprika-Sauce, womit Neuankoͤmm- linge jezuweilen von aͤlteren Kunſtgenoſſen gehaͤnſelt werden. Wenn er weiß, daß Paprika auf Deutſch Capsicum annuum heißt, wird er die Warnung mit Dank erkennen. Lieſt er auf dem Speiſezettel „Ungariſches Rebhuhn“ ſo erwarte er nichts Beſonderes, denn es iſt blos Ochſenfuß.
Uebrigens bedarf es meiner Worte nicht, um erſt darauf aufmerkſam zu machen, wie viel in fraglicher Beziehung in der froͤhlichen Kaiſerſtadt zu profitiren iſt, wozu nicht das Geringſte dazu beitraͤgt, zu ſehen, daß es jedem ſchmeckt und daß ſich’s ringsum jeder ſchmecken laͤßt. Ich kenne keine andre Stadt, von der ich dieß im gleichen Maaße zu ſagen wuͤßte. Im Ue- brigen aber ſteht’s wie gegenwaͤrtig anderwaͤrts eben auch. Be- kanntlich iſt Friedrich der Große und JoſephII. geſtorben.
Frankfurt am Main und die Rheingegenden werden den reiſenden Eßkuͤnſtler zunaͤchſt mit der Muſterhaftigkeit guter Be- dienung bekannt machen, die freilich von der in Paris uͤbertroffen wird. Ich erinnerte daſelbſt einmal ein Beefſteak, welches, trotz der
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[188/0202]
ſonſt ſieht man ihn uͤber die Achſel an, und ſagt: er waͤre aus
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ſich an ſuͤß gebratnem Haaſen, ſtudire Maͤßigkeit, wozu er ſehr
gute Gelegenheit hat, und uͤbe ſich, Thee und Butterbrod fuͤr
ein Abendeſſen anzuſehen. Zu eben ſo ergoͤtzlichem als ver-
dauungsbefoͤrderndem Lachen wird er ſich veranlaßt ſehen, wenn
er wahrnimmt, wie die dortigen Menſchen ein Monopol auf
die geſunde Vernunft zu haben glauben und dieß ihm ſelber
ſagen. Befremden darf es ihn nicht, wenn er eine nichts we-
niger als kleine Rechnung bezahlt hat, und der Kellner bemerkt,
er haͤtte geſehen, daß der Herr auch Senf genommen, dieß
mache ſechs Pfennige mehr. Laͤndlich, ſittlich!
In Wien hat er dergleichen nicht zu beſorgen und wenn
er dem Kellner Mittags und Abends jedesmal ſechs oder auch
nur drei Kreuzer extra giebt, ſo wird er gut fahren. Es giebt
aber in Wien eine gewiſſe Paprika-Sauce, womit Neuankoͤmm-
linge jezuweilen von aͤlteren Kunſtgenoſſen gehaͤnſelt werden.
Wenn er weiß, daß Paprika auf Deutſch Capsicum annuum
heißt, wird er die Warnung mit Dank erkennen. Lieſt er auf
dem Speiſezettel „Ungariſches Rebhuhn“ ſo erwarte er nichts
Beſonderes, denn es iſt blos Ochſenfuß.
Uebrigens bedarf es meiner Worte nicht, um erſt darauf
aufmerkſam zu machen, wie viel in fraglicher Beziehung in der
froͤhlichen Kaiſerſtadt zu profitiren iſt, wozu nicht das Geringſte
dazu beitraͤgt, zu ſehen, daß es jedem ſchmeckt und daß ſich’s
ringsum jeder ſchmecken laͤßt. Ich kenne keine andre Stadt,
von der ich dieß im gleichen Maaße zu ſagen wuͤßte. Im Ue-
brigen aber ſteht’s wie gegenwaͤrtig anderwaͤrts eben auch. Be-
kanntlich iſt Friedrich der Große und Joſeph II. geſtorben.
Frankfurt am Main und die Rheingegenden werden den
reiſenden Eßkuͤnſtler zunaͤchſt mit der Muſterhaftigkeit guter Be-
dienung bekannt machen, die freilich von der in Paris uͤbertroffen
wird. Ich erinnerte daſelbſt einmal ein Beefſteak, welches, trotz der
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/202>, abgerufen am 16.02.2025.
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