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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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gefährten billig hier nicht weiter gedacht werden soll. Error
nocet erranti.

Welch schönen Genuß das Reisen, frische freie Luft, na-
mentlich auf Berghöhen, frische neue Wäsche, und Baden in
raschfließender krystallner Fluth gewährt, wie fröhlich überhaupt
die Freude und wie freudig die Fröhlichkeit ist, wissen Viele,
der Eßkünstler auch, und noch etwas dazu. Ueberhaupt weiß
und denkt ein Eßkünstler mehr, als ein anderer Mensch. So
gewährt ihm z. B. der zarte Duft frischer Austern Reminiscen-
zen, die man einem andern Menschen gar nicht einmal sagen
kann. Er versteht Sätze, die jedem Andern unbegreiflich sind,
z. B. den: A B C ist nicht A + B + C, sondern = X, oder
doch nur A B C. -- Man bedenke noch die Menge der dem Eß-
künstler eigenthümlichen feinsten Kenntnisse aller möglichen Eß-
barkeiten je nach ihren Kennzeichen und Merkmalen, nach Güte,
Alter, Geschlecht, Vaterland etc., nach der Art ihrer habhaft zu
werden, ihrer Behandlungsweise im Leben, bei und nach dem
Tode, das Detail aller einzelnen Organe, Theile und Theilchen
als Bissen betrachtet, ihre verschiedenen Verbindungen, Gestal-
tungen, Zurichtungen, die Beziehungen der einzelnen Monate
zur Tafel, die ungeheure Nomenklatur allein und Anderes, über
welches man dicke Bücher schreiben kann, wenn man's weiß --
um den wahren Eßkünstler verehrungswürdig zu finden.

Während ferner der gewöhnliche Esser eben ißt, was es
gerade giebt, wird bei dem Eßkünstler eine gewisse präparative
Sorgfalt und Umthulichkeit um Eßbares und dessen Acquisition
hervorleuchten, welche eine Thätigkeit hervorruft, von deren
beseeligender Genußfülle ein gewöhnlicher Mensch gar keine Ah-
nung hat. Der Eßkünstler ißt in Zukunft, Gegenwart und
Vergangenheit zugleich. Es ist mein tief und wahr aufrichtiger
Wunsch, daß jeder Eßsinnige einen eigenen Garten oder doch
ein Gärtlein haben möchte. Der Salat, den man selbst gesäet
oder gepflanzt, den man keimen, sprossen und wachsen sieht,

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gefaͤhrten billig hier nicht weiter gedacht werden ſoll. Error
nocet erranti.

Welch ſchoͤnen Genuß das Reiſen, friſche freie Luft, na-
mentlich auf Berghoͤhen, friſche neue Waͤſche, und Baden in
raſchfließender kryſtallner Fluth gewaͤhrt, wie froͤhlich uͤberhaupt
die Freude und wie freudig die Froͤhlichkeit iſt, wiſſen Viele,
der Eßkuͤnſtler auch, und noch etwas dazu. Ueberhaupt weiß
und denkt ein Eßkuͤnſtler mehr, als ein anderer Menſch. So
gewaͤhrt ihm z. B. der zarte Duft friſcher Auſtern Reminiscen-
zen, die man einem andern Menſchen gar nicht einmal ſagen
kann. Er verſteht Saͤtze, die jedem Andern unbegreiflich ſind,
z. B. den: A B C iſt nicht A + B + C, ſondern = X, oder
doch nur A B C. — Man bedenke noch die Menge der dem Eß-
kuͤnſtler eigenthuͤmlichen feinſten Kenntniſſe aller moͤglichen Eß-
barkeiten je nach ihren Kennzeichen und Merkmalen, nach Guͤte,
Alter, Geſchlecht, Vaterland ꝛc., nach der Art ihrer habhaft zu
werden, ihrer Behandlungsweiſe im Leben, bei und nach dem
Tode, das Detail aller einzelnen Organe, Theile und Theilchen
als Biſſen betrachtet, ihre verſchiedenen Verbindungen, Geſtal-
tungen, Zurichtungen, die Beziehungen der einzelnen Monate
zur Tafel, die ungeheure Nomenklatur allein und Anderes, uͤber
welches man dicke Buͤcher ſchreiben kann, wenn man’s weiß —
um den wahren Eßkuͤnſtler verehrungswuͤrdig zu finden.

Waͤhrend ferner der gewoͤhnliche Eſſer eben ißt, was es
gerade giebt, wird bei dem Eßkuͤnſtler eine gewiſſe praͤparative
Sorgfalt und Umthulichkeit um Eßbares und deſſen Acquiſition
hervorleuchten, welche eine Thaͤtigkeit hervorruft, von deren
beſeeligender Genußfuͤlle ein gewoͤhnlicher Menſch gar keine Ah-
nung hat. Der Eßkuͤnſtler ißt in Zukunft, Gegenwart und
Vergangenheit zugleich. Es iſt mein tief und wahr aufrichtiger
Wunſch, daß jeder Eßſinnige einen eigenen Garten oder doch
ein Gaͤrtlein haben moͤchte. Der Salat, den man ſelbſt geſaͤet
oder gepflanzt, den man keimen, ſproſſen und wachſen ſieht,

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[195/0209] gefaͤhrten billig hier nicht weiter gedacht werden ſoll. Error nocet erranti. Welch ſchoͤnen Genuß das Reiſen, friſche freie Luft, na- mentlich auf Berghoͤhen, friſche neue Waͤſche, und Baden in raſchfließender kryſtallner Fluth gewaͤhrt, wie froͤhlich uͤberhaupt die Freude und wie freudig die Froͤhlichkeit iſt, wiſſen Viele, der Eßkuͤnſtler auch, und noch etwas dazu. Ueberhaupt weiß und denkt ein Eßkuͤnſtler mehr, als ein anderer Menſch. So gewaͤhrt ihm z. B. der zarte Duft friſcher Auſtern Reminiscen- zen, die man einem andern Menſchen gar nicht einmal ſagen kann. Er verſteht Saͤtze, die jedem Andern unbegreiflich ſind, z. B. den: A B C iſt nicht A + B + C, ſondern = X, oder doch nur A B C. — Man bedenke noch die Menge der dem Eß- kuͤnſtler eigenthuͤmlichen feinſten Kenntniſſe aller moͤglichen Eß- barkeiten je nach ihren Kennzeichen und Merkmalen, nach Guͤte, Alter, Geſchlecht, Vaterland ꝛc., nach der Art ihrer habhaft zu werden, ihrer Behandlungsweiſe im Leben, bei und nach dem Tode, das Detail aller einzelnen Organe, Theile und Theilchen als Biſſen betrachtet, ihre verſchiedenen Verbindungen, Geſtal- tungen, Zurichtungen, die Beziehungen der einzelnen Monate zur Tafel, die ungeheure Nomenklatur allein und Anderes, uͤber welches man dicke Buͤcher ſchreiben kann, wenn man’s weiß — um den wahren Eßkuͤnſtler verehrungswuͤrdig zu finden. Waͤhrend ferner der gewoͤhnliche Eſſer eben ißt, was es gerade giebt, wird bei dem Eßkuͤnſtler eine gewiſſe praͤparative Sorgfalt und Umthulichkeit um Eßbares und deſſen Acquiſition hervorleuchten, welche eine Thaͤtigkeit hervorruft, von deren beſeeligender Genußfuͤlle ein gewoͤhnlicher Menſch gar keine Ah- nung hat. Der Eßkuͤnſtler ißt in Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit zugleich. Es iſt mein tief und wahr aufrichtiger Wunſch, daß jeder Eßſinnige einen eigenen Garten oder doch ein Gaͤrtlein haben moͤchte. Der Salat, den man ſelbſt geſaͤet oder gepflanzt, den man keimen, ſproſſen und wachſen ſieht, 13*

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/209>, abgerufen am 21.11.2024.