Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.gewährt schon lange vorher wiederholten lieblichen Genuß, ehe Welche Wonne, auf eigenem Grund und Boden in der frischen Hier braucht's keine Gegensätze, hier ist von keinem Kunst- Seelig, wer, wie Bettina, die Bäume selbst zu erklet- Aber nicht blos für sich selbst wirkt und schafft der Künst- gewaͤhrt ſchon lange vorher wiederholten lieblichen Genuß, ehe Welche Wonne, auf eigenem Grund und Boden in der friſchen Hier braucht’s keine Gegenſaͤtze, hier iſt von keinem Kunſt- Seelig, wer, wie Bettina, die Baͤume ſelbſt zu erklet- Aber nicht blos fuͤr ſich ſelbſt wirkt und ſchafft der Kuͤnſt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0210" n="196"/> gewaͤhrt ſchon lange vorher wiederholten lieblichen Genuß, ehe<lb/> er mit Eſſig und Oel neben dem dampfenden Braten auf dem<lb/> Tiſch ſteht, und ſchmeckt dann beſſer, als jeder andere. Was<lb/> will auch z. B. ein anderer Haaſe gegen den ſagen, welchen<lb/> man ſelbſt geſchoſſen?</p><lb/> <p>Welche Wonne, auf eigenem Grund und Boden in der friſchen<lb/> Kuͤhle des Morgens, oder in ſchattiger Laube vor den heißen<lb/> Strahlen der Mittagsſonne geſchuͤtzt, oder bei ſanft heruͤberklin-<lb/> gendem Vespergloͤcklein — es hat nach langer Trockenheit ge-<lb/> regnet und der erfriſchende aromatiſche Duft weht kuͤhl umher<lb/> und Alles ſieht gruͤner und friſcher und luſtiger — in eine ſaf-<lb/> tige reife Birne, einen weinſaͤuerlichen Borsdorfer, den man<lb/> nicht anblicken kann, ohne daß der Mund voll Waſſer laͤuft, in<lb/> eine thauuͤberhauchte Traube zu beißen, die man ſelbſt gezogen<lb/> und gebrochen, oder mit dem ſichelfoͤrmigen Gartenmeſſer abge-<lb/> ſchnitten hat!</p><lb/> <p>Hier braucht’s keine Gegenſaͤtze, hier iſt von keinem Kunſt-<lb/> werke die Rede, hier beſeeligt die kunſtlos ungeſchmuͤckte Natur!</p><lb/> <p>Seelig, wer, wie <hi rendition="#g">Bettina</hi>, die Baͤume ſelbſt zu erklet-<lb/> tern und gleich den Voͤgeln in ihren Zweigen zu naſchen und<lb/> zu ſchmauſen vermag! — Wie lieblich liebkoſet die holde <hi rendition="#g">Bet-<lb/> tina</hi> den Fruͤchten, ehe ſie dieſelben anbeißt! — Auf jenes Klet-<lb/> tern wird der bejahrtere Eßkuͤnſtler freilich um ſo mehr verzich-<lb/> ten muͤſſen, je lohnender ſich ſeine Kunſtbeſtrebungen durch<lb/> gewonnene Koͤrperfuͤlle und Schwere bewaͤhrten. Jedoch giebt<lb/> es Zwergbaͤume und Spaliere, wo man ſich bei einiger Ima-<lb/> gination, obgleich auf feſten Boden ſtehend, doch in den Zwei-<lb/> gen ſchwebend denken und fuͤhlen kann.</p><lb/> <p>Aber nicht blos fuͤr ſich ſelbſt wirkt und ſchafft der Kuͤnſt-<lb/> ler, nicht nur ſeine eigenen Genuͤſſe weiß er umfaſſend zu ge-<lb/> ſtalten und zu veredeln, zu erhoͤhen; es draͤngt ihn im Innern,<lb/> auch Anderen Genuͤſſe zu verſchaffen, Andere genießen zu laſſen.<lb/> Und dieß iſt das Hoͤhere, und dahin zielen denn auch vorzuͤglich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [196/0210]
gewaͤhrt ſchon lange vorher wiederholten lieblichen Genuß, ehe
er mit Eſſig und Oel neben dem dampfenden Braten auf dem
Tiſch ſteht, und ſchmeckt dann beſſer, als jeder andere. Was
will auch z. B. ein anderer Haaſe gegen den ſagen, welchen
man ſelbſt geſchoſſen?
Welche Wonne, auf eigenem Grund und Boden in der friſchen
Kuͤhle des Morgens, oder in ſchattiger Laube vor den heißen
Strahlen der Mittagsſonne geſchuͤtzt, oder bei ſanft heruͤberklin-
gendem Vespergloͤcklein — es hat nach langer Trockenheit ge-
regnet und der erfriſchende aromatiſche Duft weht kuͤhl umher
und Alles ſieht gruͤner und friſcher und luſtiger — in eine ſaf-
tige reife Birne, einen weinſaͤuerlichen Borsdorfer, den man
nicht anblicken kann, ohne daß der Mund voll Waſſer laͤuft, in
eine thauuͤberhauchte Traube zu beißen, die man ſelbſt gezogen
und gebrochen, oder mit dem ſichelfoͤrmigen Gartenmeſſer abge-
ſchnitten hat!
Hier braucht’s keine Gegenſaͤtze, hier iſt von keinem Kunſt-
werke die Rede, hier beſeeligt die kunſtlos ungeſchmuͤckte Natur!
Seelig, wer, wie Bettina, die Baͤume ſelbſt zu erklet-
tern und gleich den Voͤgeln in ihren Zweigen zu naſchen und
zu ſchmauſen vermag! — Wie lieblich liebkoſet die holde Bet-
tina den Fruͤchten, ehe ſie dieſelben anbeißt! — Auf jenes Klet-
tern wird der bejahrtere Eßkuͤnſtler freilich um ſo mehr verzich-
ten muͤſſen, je lohnender ſich ſeine Kunſtbeſtrebungen durch
gewonnene Koͤrperfuͤlle und Schwere bewaͤhrten. Jedoch giebt
es Zwergbaͤume und Spaliere, wo man ſich bei einiger Ima-
gination, obgleich auf feſten Boden ſtehend, doch in den Zwei-
gen ſchwebend denken und fuͤhlen kann.
Aber nicht blos fuͤr ſich ſelbſt wirkt und ſchafft der Kuͤnſt-
ler, nicht nur ſeine eigenen Genuͤſſe weiß er umfaſſend zu ge-
ſtalten und zu veredeln, zu erhoͤhen; es draͤngt ihn im Innern,
auch Anderen Genuͤſſe zu verſchaffen, Andere genießen zu laſſen.
Und dieß iſt das Hoͤhere, und dahin zielen denn auch vorzuͤglich
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