Bornitur, lyrische Befangenheit und spießbürgerlich beschränkte Subjektivität zum Vorwurf machen.
Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide, Ochse und Schwein, zwei gleich werthe animalische Mitglieder der Gesellschaft seien, jedes derselben gleich befugt sei, dazusein, jedes gäbe, was es eben hätte und wäre, jedes von beiden seine spezifischen trefflichen Eigenschaften habe; dem Charakter des Schweins zwar größere Vielseitigkeit, dagegen dem des Ochsen größere Simplicität nicht abgesprochen werden dürfe, da dieser Gras, jenes aber alles Mögliche fresse und verdaue, daß übrigens bei Geschmacksurtheilen nicht vom moralischen, sondern vom ästhetischen Gesichtspunkte aus der Gegenstand auf- zufassen sei, daß übrigens gar nicht abzusehen sei, warum ein Ochs sittlicher sein solle, als ein Schwein, -- es brachte keine Entscheidung.
Was die Einen als lebenslustige und kräftige schöne Hei- terkeit priesen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolität. Dagegen schalten jene traurigen Blödsinn und melancholisches Wiederkäuen, was diese männlich ernste Stimmung und höhere Würde nannten.
Die eine Partei stieß sich immer an den abstrakten Be- griff: "Schweinerei," die andere an den: "Ochsenhaftigkeit," und beide warfen sich beides vor und vergaßen, wie trefflich concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich schmecken.
Vergebens würde man chemisch, physiologisch, histologisch, zootomisch etc. nachgewiesen haben, daß der große Unterschied, den man finden wolle, zwischen beiden streitigen Objekten we- sentlich gar nicht vorhanden sei.
Einzelne, zwischen beiden schwankend, gaben nur einzelne zufällige Urtheile, die natürlich um so weniger entscheiden konn- ten. So sagte z. B. der Junker Tobias in Shakespeare's Was ihr wollt: "Mir ist, als hätt' ich manchmal nicht mehr Witz, als ein Christensohn oder ein gewöhnlicher Mensch hat.
15
Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte Subjektivitaͤt zum Vorwurf machen.
Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide, Ochſe und Schwein, zwei gleich werthe animaliſche Mitglieder der Geſellſchaft ſeien, jedes derſelben gleich befugt ſei, dazuſein, jedes gaͤbe, was es eben haͤtte und waͤre, jedes von beiden ſeine ſpezifiſchen trefflichen Eigenſchaften habe; dem Charakter des Schweins zwar groͤßere Vielſeitigkeit, dagegen dem des Ochſen groͤßere Simplicitaͤt nicht abgeſprochen werden duͤrfe, da dieſer Gras, jenes aber alles Moͤgliche freſſe und verdaue, daß uͤbrigens bei Geſchmacksurtheilen nicht vom moraliſchen, ſondern vom aͤſthetiſchen Geſichtspunkte aus der Gegenſtand auf- zufaſſen ſei, daß uͤbrigens gar nicht abzuſehen ſei, warum ein Ochs ſittlicher ſein ſolle, als ein Schwein, — es brachte keine Entſcheidung.
Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei- terkeit prieſen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolitaͤt. Dagegen ſchalten jene traurigen Bloͤdſinn und melancholiſches Wiederkaͤuen, was dieſe maͤnnlich ernſte Stimmung und hoͤhere Wuͤrde nannten.
Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be- griff: „Schweinerei,“ die andere an den: „Ochſenhaftigkeit,“ und beide warfen ſich beides vor und vergaßen, wie trefflich concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich ſchmecken.
Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch, zootomiſch ꝛc. nachgewieſen haben, daß der große Unterſchied, den man finden wolle, zwiſchen beiden ſtreitigen Objekten we- ſentlich gar nicht vorhanden ſei.
Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne zufaͤllige Urtheile, die natuͤrlich um ſo weniger entſcheiden konn- ten. So ſagte z. B. der Junker Tobias in Shakeſpeare’s Was ihr wollt: „Mir iſt, als haͤtt’ ich manchmal nicht mehr Witz, als ein Chriſtenſohn oder ein gewoͤhnlicher Menſch hat.
15
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0239"n="225"/>
Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte<lb/>
Subjektivitaͤt zum Vorwurf machen.</p><lb/><p>Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide,<lb/>
Ochſe und Schwein, zwei gleich werthe animaliſche Mitglieder<lb/>
der Geſellſchaft ſeien, jedes derſelben gleich befugt ſei, dazuſein,<lb/>
jedes gaͤbe, was es eben haͤtte und waͤre, jedes von beiden<lb/>ſeine ſpezifiſchen trefflichen Eigenſchaften habe; dem Charakter<lb/>
des Schweins zwar groͤßere Vielſeitigkeit, dagegen dem des<lb/>
Ochſen groͤßere Simplicitaͤt nicht abgeſprochen werden duͤrfe,<lb/>
da dieſer Gras, jenes aber alles Moͤgliche freſſe und verdaue,<lb/>
daß uͤbrigens bei Geſchmacksurtheilen nicht vom moraliſchen,<lb/>ſondern vom aͤſthetiſchen Geſichtspunkte aus der Gegenſtand auf-<lb/>
zufaſſen ſei, daß uͤbrigens gar nicht abzuſehen ſei, warum ein<lb/>
Ochs ſittlicher ſein ſolle, als ein Schwein, — es brachte keine<lb/>
Entſcheidung.</p><lb/><p>Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei-<lb/>
terkeit prieſen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolitaͤt.<lb/>
Dagegen ſchalten jene traurigen Bloͤdſinn und melancholiſches<lb/>
Wiederkaͤuen, was dieſe maͤnnlich ernſte Stimmung und hoͤhere<lb/>
Wuͤrde nannten.</p><lb/><p>Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be-<lb/>
griff: „Schweinerei,“ die andere an den: „Ochſenhaftigkeit,“<lb/>
und beide warfen ſich beides vor und vergaßen, wie trefflich<lb/>
concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich ſchmecken.</p><lb/><p>Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch,<lb/>
zootomiſch ꝛc. nachgewieſen haben, daß der große Unterſchied,<lb/>
den man finden wolle, zwiſchen beiden ſtreitigen Objekten we-<lb/>ſentlich gar nicht vorhanden ſei.</p><lb/><p>Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne<lb/>
zufaͤllige Urtheile, die natuͤrlich um ſo weniger entſcheiden konn-<lb/>
ten. So ſagte z. B. der Junker <hirendition="#g">Tobias</hi> in <hirendition="#g">Shakeſpeare’s</hi><lb/>
Was ihr wollt: „Mir iſt, als haͤtt’ ich manchmal nicht mehr<lb/>
Witz, als ein Chriſtenſohn oder ein gewoͤhnlicher Menſch hat.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">15</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[225/0239]
Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte
Subjektivitaͤt zum Vorwurf machen.
Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide,
Ochſe und Schwein, zwei gleich werthe animaliſche Mitglieder
der Geſellſchaft ſeien, jedes derſelben gleich befugt ſei, dazuſein,
jedes gaͤbe, was es eben haͤtte und waͤre, jedes von beiden
ſeine ſpezifiſchen trefflichen Eigenſchaften habe; dem Charakter
des Schweins zwar groͤßere Vielſeitigkeit, dagegen dem des
Ochſen groͤßere Simplicitaͤt nicht abgeſprochen werden duͤrfe,
da dieſer Gras, jenes aber alles Moͤgliche freſſe und verdaue,
daß uͤbrigens bei Geſchmacksurtheilen nicht vom moraliſchen,
ſondern vom aͤſthetiſchen Geſichtspunkte aus der Gegenſtand auf-
zufaſſen ſei, daß uͤbrigens gar nicht abzuſehen ſei, warum ein
Ochs ſittlicher ſein ſolle, als ein Schwein, — es brachte keine
Entſcheidung.
Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei-
terkeit prieſen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolitaͤt.
Dagegen ſchalten jene traurigen Bloͤdſinn und melancholiſches
Wiederkaͤuen, was dieſe maͤnnlich ernſte Stimmung und hoͤhere
Wuͤrde nannten.
Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be-
griff: „Schweinerei,“ die andere an den: „Ochſenhaftigkeit,“
und beide warfen ſich beides vor und vergaßen, wie trefflich
concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich ſchmecken.
Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch,
zootomiſch ꝛc. nachgewieſen haben, daß der große Unterſchied,
den man finden wolle, zwiſchen beiden ſtreitigen Objekten we-
ſentlich gar nicht vorhanden ſei.
Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne
zufaͤllige Urtheile, die natuͤrlich um ſo weniger entſcheiden konn-
ten. So ſagte z. B. der Junker Tobias in Shakeſpeare’s
Was ihr wollt: „Mir iſt, als haͤtt’ ich manchmal nicht mehr
Witz, als ein Chriſtenſohn oder ein gewoͤhnlicher Menſch hat.
15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/239>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.