Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

scheiden zu seinem Genusse ein!" -- In Schubert's Symbo-
lik des Traums heißt es: "Jede Lebensbewegung ist ein Nah-
rungsnehmen, ein an sich Ziehen der niederen Basis." -- Man
kann darüber beliebig weiter nachdenken und wer was exquisit
Tiefsinniges hierüber will, lese Jacob Böhme's vierten Send-
brief v. 12 bis 14. --

Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks,
groß und klein, statt eines menschlichen Appetits rohen Hun-
ger mitbringend, ohne Geschmack und Kritik, ohne Sinn und
Witz, und prätendirt gleichwohl auch essen zu können. Das
Allererschütterndste ist aber, wenn Leute, die nicht einmal essen
können, kochen und transchiren wollen. Vielleicht mäkeln und
tadeln solche auch die angedeutete Lebensansicht. Mögen sie's!
Ich erspare mir die Mühe, mit unmusikalischen Menschen über
den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und spreche
hier ein für allemal aus, daß diese Vorlesungen für Sinnbe-
gabte, für Gesunde, und für Männer bestimmt sind.

Man erwartet vielleicht eine Apologie über die dargelegte
ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios
vor, das Daseiende erst rechtfertigen zu wollen. Sollte es
nicht so sein, so wär's gewiß anders. Wer aber dergleichen
weiter ausgeführt haben will, sei auf des seeligen Engel Phi-
losophen für die Welt, welcher vielleicht älteren Literaten noch
bekannt ist, und zwar auf die Abhandlung: "Der Habicht"
verwiesen, wo das Unnöthige in nöthiger Breite zu finden.

Mir ist's genug, daß die Sache wahr und schön ist. Ob-
gleich zunächst nur von jenem die Rede sein soll, will ich doch
schon hier im Allgemeinen auch dieses berücksichtigen. Wer
könnte, frage ich, in der Anschauung dieser zum Theil essender,
zum Theil gegessen werdender Wesen das schöne Wechselspiel
der Komi-Tragödie des Lebens verkennen? Genuß und Unter-
gang in der appetitlichsten Verklärung, welches freilich mit klassi-
scher Ruhe und Klarheit angeschaut werden will. Oder kann

ſcheiden zu ſeinem Genuſſe ein!“ — In Schubert’s Symbo-
lik des Traums heißt es: „Jede Lebensbewegung iſt ein Nah-
rungsnehmen, ein an ſich Ziehen der niederen Baſis.“ — Man
kann daruͤber beliebig weiter nachdenken und wer was exquiſit
Tiefſinniges hieruͤber will, leſe Jacob Boͤhme’s vierten Send-
brief v. 12 bis 14. —

Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks,
groß und klein, ſtatt eines menſchlichen Appetits rohen Hun-
ger mitbringend, ohne Geſchmack und Kritik, ohne Sinn und
Witz, und praͤtendirt gleichwohl auch eſſen zu koͤnnen. Das
Allererſchuͤtterndſte iſt aber, wenn Leute, die nicht einmal eſſen
koͤnnen, kochen und tranſchiren wollen. Vielleicht maͤkeln und
tadeln ſolche auch die angedeutete Lebensanſicht. Moͤgen ſie’s!
Ich erſpare mir die Muͤhe, mit unmuſikaliſchen Menſchen uͤber
den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und ſpreche
hier ein fuͤr allemal aus, daß dieſe Vorleſungen fuͤr Sinnbe-
gabte, fuͤr Geſunde, und fuͤr Maͤnner beſtimmt ſind.

Man erwartet vielleicht eine Apologie uͤber die dargelegte
ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios
vor, das Daſeiende erſt rechtfertigen zu wollen. Sollte es
nicht ſo ſein, ſo waͤr’s gewiß anders. Wer aber dergleichen
weiter ausgefuͤhrt haben will, ſei auf des ſeeligen Engel Phi-
loſophen fuͤr die Welt, welcher vielleicht aͤlteren Literaten noch
bekannt iſt, und zwar auf die Abhandlung: „Der Habicht“
verwieſen, wo das Unnoͤthige in noͤthiger Breite zu finden.

Mir iſt’s genug, daß die Sache wahr und ſchoͤn iſt. Ob-
gleich zunaͤchſt nur von jenem die Rede ſein ſoll, will ich doch
ſchon hier im Allgemeinen auch dieſes beruͤckſichtigen. Wer
koͤnnte, frage ich, in der Anſchauung dieſer zum Theil eſſender,
zum Theil gegeſſen werdender Weſen das ſchoͤne Wechſelſpiel
der Komi-Tragoͤdie des Lebens verkennen? Genuß und Unter-
gang in der appetitlichſten Verklaͤrung, welches freilich mit klaſſi-
ſcher Ruhe und Klarheit angeſchaut werden will. Oder kann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0024" n="10"/>
&#x017F;cheiden zu &#x017F;einem Genu&#x017F;&#x017F;e ein!&#x201C; &#x2014; In <hi rendition="#g">Schubert&#x2019;s</hi> Symbo-<lb/>
lik des Traums heißt es: &#x201E;Jede Lebensbewegung i&#x017F;t ein Nah-<lb/>
rungsnehmen, ein an &#x017F;ich Ziehen der niederen Ba&#x017F;is.&#x201C; &#x2014; Man<lb/>
kann daru&#x0364;ber beliebig weiter nachdenken und wer was exqui&#x017F;it<lb/>
Tief&#x017F;inniges hieru&#x0364;ber will, le&#x017F;e <hi rendition="#g">Jacob Bo&#x0364;hme&#x2019;s</hi> vierten Send-<lb/>
brief <hi rendition="#aq">v.</hi> 12 bis 14. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks,<lb/>
groß und klein, &#x017F;tatt eines men&#x017F;chlichen Appetits rohen Hun-<lb/>
ger mitbringend, ohne Ge&#x017F;chmack und Kritik, ohne Sinn und<lb/>
Witz, und pra&#x0364;tendirt gleichwohl auch e&#x017F;&#x017F;en zu ko&#x0364;nnen. Das<lb/>
Allerer&#x017F;chu&#x0364;tternd&#x017F;te i&#x017F;t aber, wenn Leute, die nicht einmal e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ko&#x0364;nnen, kochen und tran&#x017F;chiren wollen. Vielleicht ma&#x0364;keln und<lb/>
tadeln &#x017F;olche auch die angedeutete Lebensan&#x017F;icht. Mo&#x0364;gen &#x017F;ie&#x2019;s!<lb/>
Ich er&#x017F;pare mir die Mu&#x0364;he, mit unmu&#x017F;ikali&#x017F;chen Men&#x017F;chen u&#x0364;ber<lb/>
den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und &#x017F;preche<lb/>
hier ein fu&#x0364;r allemal aus, daß die&#x017F;e Vorle&#x017F;ungen fu&#x0364;r Sinnbe-<lb/>
gabte, fu&#x0364;r Ge&#x017F;unde, und fu&#x0364;r Ma&#x0364;nner be&#x017F;timmt &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Man erwartet vielleicht eine Apologie u&#x0364;ber die dargelegte<lb/>
ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios<lb/>
vor, das Da&#x017F;eiende er&#x017F;t rechtfertigen zu wollen. Sollte es<lb/>
nicht &#x017F;o &#x017F;ein, &#x017F;o wa&#x0364;r&#x2019;s gewiß anders. Wer aber dergleichen<lb/>
weiter ausgefu&#x0364;hrt haben will, &#x017F;ei auf des &#x017F;eeligen <hi rendition="#g">Engel</hi> Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophen fu&#x0364;r die Welt, welcher vielleicht a&#x0364;lteren Literaten noch<lb/>
bekannt i&#x017F;t, und zwar auf die Abhandlung: &#x201E;Der Habicht&#x201C;<lb/>
verwie&#x017F;en, wo das Unno&#x0364;thige in no&#x0364;thiger Breite zu finden.</p><lb/>
        <p>Mir i&#x017F;t&#x2019;s genug, daß die Sache wahr und &#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;t. Ob-<lb/>
gleich zuna&#x0364;ch&#x017F;t nur von jenem die Rede &#x017F;ein &#x017F;oll, will ich doch<lb/>
&#x017F;chon hier im Allgemeinen auch die&#x017F;es beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigen. Wer<lb/>
ko&#x0364;nnte, frage ich, in der An&#x017F;chauung die&#x017F;er zum Theil e&#x017F;&#x017F;ender,<lb/>
zum Theil gege&#x017F;&#x017F;en werdender We&#x017F;en das &#x017F;cho&#x0364;ne Wech&#x017F;el&#x017F;piel<lb/>
der Komi-Trago&#x0364;die des Lebens verkennen? Genuß und Unter-<lb/>
gang in der appetitlich&#x017F;ten Verkla&#x0364;rung, welches freilich mit kla&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;cher Ruhe und Klarheit ange&#x017F;chaut werden will. Oder kann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0024] ſcheiden zu ſeinem Genuſſe ein!“ — In Schubert’s Symbo- lik des Traums heißt es: „Jede Lebensbewegung iſt ein Nah- rungsnehmen, ein an ſich Ziehen der niederen Baſis.“ — Man kann daruͤber beliebig weiter nachdenken und wer was exquiſit Tiefſinniges hieruͤber will, leſe Jacob Boͤhme’s vierten Send- brief v. 12 bis 14. — Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks, groß und klein, ſtatt eines menſchlichen Appetits rohen Hun- ger mitbringend, ohne Geſchmack und Kritik, ohne Sinn und Witz, und praͤtendirt gleichwohl auch eſſen zu koͤnnen. Das Allererſchuͤtterndſte iſt aber, wenn Leute, die nicht einmal eſſen koͤnnen, kochen und tranſchiren wollen. Vielleicht maͤkeln und tadeln ſolche auch die angedeutete Lebensanſicht. Moͤgen ſie’s! Ich erſpare mir die Muͤhe, mit unmuſikaliſchen Menſchen uͤber den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und ſpreche hier ein fuͤr allemal aus, daß dieſe Vorleſungen fuͤr Sinnbe- gabte, fuͤr Geſunde, und fuͤr Maͤnner beſtimmt ſind. Man erwartet vielleicht eine Apologie uͤber die dargelegte ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios vor, das Daſeiende erſt rechtfertigen zu wollen. Sollte es nicht ſo ſein, ſo waͤr’s gewiß anders. Wer aber dergleichen weiter ausgefuͤhrt haben will, ſei auf des ſeeligen Engel Phi- loſophen fuͤr die Welt, welcher vielleicht aͤlteren Literaten noch bekannt iſt, und zwar auf die Abhandlung: „Der Habicht“ verwieſen, wo das Unnoͤthige in noͤthiger Breite zu finden. Mir iſt’s genug, daß die Sache wahr und ſchoͤn iſt. Ob- gleich zunaͤchſt nur von jenem die Rede ſein ſoll, will ich doch ſchon hier im Allgemeinen auch dieſes beruͤckſichtigen. Wer koͤnnte, frage ich, in der Anſchauung dieſer zum Theil eſſender, zum Theil gegeſſen werdender Weſen das ſchoͤne Wechſelſpiel der Komi-Tragoͤdie des Lebens verkennen? Genuß und Unter- gang in der appetitlichſten Verklaͤrung, welches freilich mit klaſſi- ſcher Ruhe und Klarheit angeſchaut werden will. Oder kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/24
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/24>, abgerufen am 23.11.2024.