Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.zu steigern, oder um über sehr heiß aufgetragene Speisen so- Das Gemeinste nach dem Wasser ist Bier. Man nannte Ich habe Thatsachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die zu ſteigern, oder um uͤber ſehr heiß aufgetragene Speiſen ſo- Das Gemeinſte nach dem Waſſer iſt Bier. Man nannte Ich habe Thatſachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0263" n="249"/> zu ſteigern, oder um uͤber ſehr heiß aufgetragene Speiſen ſo-<lb/> gleich herfallen zu koͤnnen, bevor noch andere ungeuͤbte, minder<lb/> feuerfeſte Gaͤſte ſich daran wagten, oder um den Magen zu<lb/> exoneriren, ſo wird doch dergleichen Manier, Erkuͤnſtelung und<lb/> Uebertreibung ein naturtreuer geſunder Kuͤnſtler durchaus ver-<lb/> ſchmaͤhen.</p><lb/> <p>Das Gemeinſte nach dem Waſſer iſt Bier. Man nannte<lb/> es (wie man wahrſcheinlich glaubte: poetiſch) fluͤſſiges Brod.<lb/> In vielen Staͤdten, Staͤdtchen, Marktflecken und Doͤrfern<lb/> Deutſchlands wird es auch uͤber Tiſch getrunken. Die Groͤn-<lb/> laͤnder trinken bekanntlich Fiſchthran. Es ſind das Angelegen-<lb/> heiten des individuellen Geſchmacks. Wie aber ein Menſch, der<lb/> irgend eine Zunge hat, uͤber Tiſch Bier trinken kann, iſt ein<lb/> Problem, uͤber welches ich oft ernſtlich und reiflich nachgedacht,<lb/> deſſen Aufloͤſung mir aber bis auf dieſen Augenblick immer<lb/> noch nicht gelingen wollte. Vielleicht bin ich heute, — durch die<lb/> Anweſenheit ſo vieler ſehr verehrter Zuhoͤrer, die nicht da ſind,<lb/> begeiſtert — ſo gluͤcklich, dem Unbegreiflichen naͤher zu treten.</p><lb/> <p>Ich habe Thatſachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die<lb/> Haut ſchaudert. Ich habe geſehen, wie man waͤhrend des<lb/> Suppeneſſens Bier getrunken, wie man geſottenes Rindfleiſch<lb/> aß und Bier dazu trank, wie man Gansbraten aß und dazu<lb/> Bier trank, wie man Gurkenſalat aß, und auch Bier trank,<lb/> wie man Paſteten und Torten aß, und auch Bier trank, und<lb/> wie man, freilich conſequent, bei’m Deſſert zu Aepfeln und<lb/> Confituren eben auch Bier trank. — Dieſes Biertrinken uͤber<lb/> Tiſch ſcheint mir nahe am Gipfel des Ungeſchmacks und bar-<lb/> bariſcher Rohheit zu liegen. Ich erklaͤre mir die wirkliche Moͤg-<lb/> lichkeit dieſer Thatſachen, um meinen Glauben an die Menſchheit<lb/> nicht wankend werden zu laſſen, denſelben vielmehr immer mehr<lb/> zu ſtaͤrken und zu befeſtigen, alſo: Es giebt Laͤnder und Geld-<lb/> beutel, welche fuͤr den Wein keine oder doch nur ſehr wenige<lb/> Anlagen und Talente haben. Nun kommt es vor, daß, durch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [249/0263]
zu ſteigern, oder um uͤber ſehr heiß aufgetragene Speiſen ſo-
gleich herfallen zu koͤnnen, bevor noch andere ungeuͤbte, minder
feuerfeſte Gaͤſte ſich daran wagten, oder um den Magen zu
exoneriren, ſo wird doch dergleichen Manier, Erkuͤnſtelung und
Uebertreibung ein naturtreuer geſunder Kuͤnſtler durchaus ver-
ſchmaͤhen.
Das Gemeinſte nach dem Waſſer iſt Bier. Man nannte
es (wie man wahrſcheinlich glaubte: poetiſch) fluͤſſiges Brod.
In vielen Staͤdten, Staͤdtchen, Marktflecken und Doͤrfern
Deutſchlands wird es auch uͤber Tiſch getrunken. Die Groͤn-
laͤnder trinken bekanntlich Fiſchthran. Es ſind das Angelegen-
heiten des individuellen Geſchmacks. Wie aber ein Menſch, der
irgend eine Zunge hat, uͤber Tiſch Bier trinken kann, iſt ein
Problem, uͤber welches ich oft ernſtlich und reiflich nachgedacht,
deſſen Aufloͤſung mir aber bis auf dieſen Augenblick immer
noch nicht gelingen wollte. Vielleicht bin ich heute, — durch die
Anweſenheit ſo vieler ſehr verehrter Zuhoͤrer, die nicht da ſind,
begeiſtert — ſo gluͤcklich, dem Unbegreiflichen naͤher zu treten.
Ich habe Thatſachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die
Haut ſchaudert. Ich habe geſehen, wie man waͤhrend des
Suppeneſſens Bier getrunken, wie man geſottenes Rindfleiſch
aß und Bier dazu trank, wie man Gansbraten aß und dazu
Bier trank, wie man Gurkenſalat aß, und auch Bier trank,
wie man Paſteten und Torten aß, und auch Bier trank, und
wie man, freilich conſequent, bei’m Deſſert zu Aepfeln und
Confituren eben auch Bier trank. — Dieſes Biertrinken uͤber
Tiſch ſcheint mir nahe am Gipfel des Ungeſchmacks und bar-
bariſcher Rohheit zu liegen. Ich erklaͤre mir die wirkliche Moͤg-
lichkeit dieſer Thatſachen, um meinen Glauben an die Menſchheit
nicht wankend werden zu laſſen, denſelben vielmehr immer mehr
zu ſtaͤrken und zu befeſtigen, alſo: Es giebt Laͤnder und Geld-
beutel, welche fuͤr den Wein keine oder doch nur ſehr wenige
Anlagen und Talente haben. Nun kommt es vor, daß, durch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |