zwei, namentlich Angestellte und solche, die es werden, oder bleiben, oder steigen wollten, zusammen, so berochen sie sich gegenseitig von allen Seiten, um von etwa wahrgenommenen Liberalitäten und Gallizismen gehörigen Ortes möglichen Nutzen zu ziehen. Da nun auf diesem Talisman-Motto ausdrücklich bemerkt war, daß böse Menschen keine Lieder singen, so lag es nahe, daß man, um zu zeigen, man sei eine gute Haut, nichts Besseres thun könnte, als Lieder singen. Lief auch manch- mal ein mit zitternder Stimme gesungenes Freiheits- oder Poh- lenlied mit unter, so konnte wieder die Aegide des Motto vor- gehalten werden und decken. Man vergaß aber, daß eine Po- lizei nicht gerührt werden darf und sehr wohl weiß, daß Don Juan, und Caspar im Freischütz, die Beide der Teufel holt, auch Lieder singen, und Mephistopheles sogar ein morali- sches Lied intonirt.
Es giebt ferner ganze Nationen wie einzelne Menschen, welche bei Tisch Gesundheiten trinken zu müssen glauben. Be- kanntlich lebt das freie England in dieser Beziehung unter einem sehr unbequemen Zwang. Die alten Römer hatten bei Tische einen eigenen Magister bibendi, dem es oblag, die Gesundhei- ten auszubringen. Es war einigermaßen genant, wenn der Name des Gastes, dessen Gesundheit man zu trinken hatte, etwas lang war, da es die Sitte mit sich brachte, so viel Be- cher zu leeren, als jener Name Buchstaben enthielt. Auch in Deutschland herrschte früher ein sehr anstrengendes Gesundheit- trinken, welches gegenwärtig, mit Ausnahme einzelner Toasts, glücklicherweise so ziemlich außer Gebrauch gekommen, vielleicht aber, in Folge der schon besprochenen weltgeschichtlichen retro- graden Schwankungen, bald wieder aufkommt. So glaube ich denn nur bemerken zu müssen, daß ein Toast von Ellenlänge nicht ganz so kurz zu sein scheint, als er vielleicht sein könnte, wenn er weniger lang wäre, und daß es anständig ist, bei hohen Toast's möglichst laut: "hoch!" zu schreien. Es soll
zwei, namentlich Angeſtellte und ſolche, die es werden, oder bleiben, oder ſteigen wollten, zuſammen, ſo berochen ſie ſich gegenſeitig von allen Seiten, um von etwa wahrgenommenen Liberalitaͤten und Gallizismen gehoͤrigen Ortes moͤglichen Nutzen zu ziehen. Da nun auf dieſem Talisman-Motto ausdruͤcklich bemerkt war, daß boͤſe Menſchen keine Lieder ſingen, ſo lag es nahe, daß man, um zu zeigen, man ſei eine gute Haut, nichts Beſſeres thun koͤnnte, als Lieder ſingen. Lief auch manch- mal ein mit zitternder Stimme geſungenes Freiheits- oder Poh- lenlied mit unter, ſo konnte wieder die Aegide des Motto vor- gehalten werden und decken. Man vergaß aber, daß eine Po- lizei nicht geruͤhrt werden darf und ſehr wohl weiß, daß Don Juan, und Caspar im Freiſchuͤtz, die Beide der Teufel holt, auch Lieder ſingen, und Mephiſtopheles ſogar ein morali- ſches Lied intonirt.
Es giebt ferner ganze Nationen wie einzelne Menſchen, welche bei Tiſch Geſundheiten trinken zu muͤſſen glauben. Be- kanntlich lebt das freie England in dieſer Beziehung unter einem ſehr unbequemen Zwang. Die alten Roͤmer hatten bei Tiſche einen eigenen Magister bibendi, dem es oblag, die Geſundhei- ten auszubringen. Es war einigermaßen gênant, wenn der Name des Gaſtes, deſſen Geſundheit man zu trinken hatte, etwas lang war, da es die Sitte mit ſich brachte, ſo viel Be- cher zu leeren, als jener Name Buchſtaben enthielt. Auch in Deutſchland herrſchte fruͤher ein ſehr anſtrengendes Geſundheit- trinken, welches gegenwaͤrtig, mit Ausnahme einzelner Toaſts, gluͤcklicherweiſe ſo ziemlich außer Gebrauch gekommen, vielleicht aber, in Folge der ſchon beſprochenen weltgeſchichtlichen retro- graden Schwankungen, bald wieder aufkommt. So glaube ich denn nur bemerken zu muͤſſen, daß ein Toaſt von Ellenlaͤnge nicht ganz ſo kurz zu ſein ſcheint, als er vielleicht ſein koͤnnte, wenn er weniger lang waͤre, und daß es anſtaͤndig iſt, bei hohen Toaſt’s moͤglichſt laut: „hoch!“ zu ſchreien. Es ſoll
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Liberalitaͤten und Gallizismen gehoͤrigen Ortes moͤglichen Nutzen
zu ziehen. Da nun auf dieſem Talisman-Motto ausdruͤcklich
bemerkt war, daß boͤſe Menſchen keine Lieder ſingen, ſo lag es
nahe, daß man, um zu zeigen, man ſei eine gute Haut, nichts
Beſſeres thun koͤnnte, als Lieder ſingen. Lief auch manch-
mal ein mit zitternder Stimme geſungenes Freiheits- oder Poh-
lenlied mit unter, ſo konnte wieder die Aegide des Motto vor-
gehalten werden und decken. Man vergaß aber, daß eine Po-
lizei nicht geruͤhrt werden darf und ſehr wohl weiß, daß Don
Juan, und Caspar im Freiſchuͤtz, die Beide der Teufel holt,
auch Lieder ſingen, und Mephiſtopheles ſogar ein morali-
ſches Lied intonirt.
Es giebt ferner ganze Nationen wie einzelne Menſchen,
welche bei Tiſch Geſundheiten trinken zu muͤſſen glauben. Be-
kanntlich lebt das freie England in dieſer Beziehung unter einem
ſehr unbequemen Zwang. Die alten Roͤmer hatten bei Tiſche
einen eigenen Magister bibendi, dem es oblag, die Geſundhei-
ten auszubringen. Es war einigermaßen gênant, wenn der
Name des Gaſtes, deſſen Geſundheit man zu trinken hatte,
etwas lang war, da es die Sitte mit ſich brachte, ſo viel Be-
cher zu leeren, als jener Name Buchſtaben enthielt. Auch in
Deutſchland herrſchte fruͤher ein ſehr anſtrengendes Geſundheit-
trinken, welches gegenwaͤrtig, mit Ausnahme einzelner Toaſts,
gluͤcklicherweiſe ſo ziemlich außer Gebrauch gekommen, vielleicht
aber, in Folge der ſchon beſprochenen weltgeſchichtlichen retro-
graden Schwankungen, bald wieder aufkommt. So glaube ich
denn nur bemerken zu muͤſſen, daß ein Toaſt von Ellenlaͤnge
nicht ganz ſo kurz zu ſein ſcheint, als er vielleicht ſein koͤnnte,
wenn er weniger lang waͤre, und daß es anſtaͤndig iſt, bei
hohen Toaſt’s moͤglichſt laut: „hoch!“ zu ſchreien. Es ſoll
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/276>, abgerufen am 16.02.2025.
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