Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.der ernsteren Plastik fremd bleiben, auch wenn's dem Darge- Zwar habe ich ein Duett zweier pubertätsreifer, verschie- Wäre es nun wünschenswerth, es möchte die Eßkunst kei- der ernſteren Plaſtik fremd bleiben, auch wenn’s dem Darge- Zwar habe ich ein Duett zweier pubertaͤtsreifer, verſchie- Waͤre es nun wuͤnſchenswerth, es moͤchte die Eßkunſt kei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="84"/> der ernſteren Plaſtik fremd bleiben, auch wenn’s dem Darge-<lb/> ſtellten noch ſo gut ſchmeckt. Ueberhaupt ſollte die Kunſt mehr<lb/> darauf bedacht ſein, Geſchmackvolles darzuſtellen, als Schmek-<lb/> kendes. Hier hat offenbar die Natur das <hi rendition="#aq">Prévenir.</hi> Das<lb/> vergeſſen auch die Dichter gar zu oft, wie auch manche Predi-<lb/> ger meinen, wenn ſie ſelber weinten, haͤtten ſie ruͤhrend gepre-<lb/> digt. Und doch braͤchte mich eine wirkliche, natuͤrliche, abſichts-<lb/> loſe Zwiebel leichter zu Thraͤnen, als ein ſolcher Ruͤhrungspre-<lb/> diger. Wie nun aber wenn die Zwiebel ſich einbilden wollte,<lb/> ſie ruͤhre, weil ſie macht, daß man weinen muß? Wenn denn<lb/> uͤberhaupt auf der Welt geweint ſein muß, ſo bleibt’s doch ein<lb/> großer Unterſchied, ob man uͤber das Trauerſpiel, oder den<lb/> Trauerſpieldichter weint. Nicht ſelten moͤchte man uͤber den<lb/> Trauerſpieler zugleich mitweinen und hat dann eine complete<lb/> dreiſtimmig beſetzte Ruͤhrung. Doch ich ſchweife ab.</p><lb/> <p>Zwar habe ich ein Duett zweier pubertaͤtsreifer, verſchie-<lb/> den geſchlechtlicher, nuder Menſchenkinder, auf einem Weinblatt<lb/> liegend, in einer aus dieſen Verhaͤltniſſen leicht begreiflichen<lb/> Attitude, aus ſchneeweißem Alabaſter — wie mir verſichert<lb/> wurde, ein Divertiſſement <hi rendition="#g">Thorwaldſen’s</hi> — geſehen, welches<lb/> mir durchaus nicht mißfallen konnte. Aber das Ganze war nicht<lb/> groͤßer als ein wirkliches Weinblatt, und weil ſo etwas nicht<lb/> groß iſt, darf’s auch nicht groß gebildet werden.</p><lb/> <p>Waͤre es nun wuͤnſchenswerth, es moͤchte die Eßkunſt kei-<lb/> nem Kuͤnſtler fremd ſein, da ſie nothwendig den heiterſten Ein-<lb/> fluß auf ſeine Weltanſchauung ſowohl, als auf das Zarte und<lb/> Geſchmackvolle ſeiner beſonderen Darſtellungen uͤben muͤßte, ſo<lb/> iſt ſie doch dem Schauſpieler geradezu unerlaͤßlich. Bekannt-<lb/> lich haben wir nicht wenige Trauer-Schau- und Luſtſpiele ſo<lb/> wie Opern, in denen gegeſſen wird. Obgleich nun zu wuͤnſchen<lb/> waͤre, Dichter und Schauſpieler moͤchten dem Zuſchauer etwas<lb/> zu ſchmecken geben, auch ohne Eßdarſtellungen, ſo hat nun ein-<lb/> mal dieſe wichtige Thaͤtigkeit auch auf den Welt bedeutenden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [84/0098]
der ernſteren Plaſtik fremd bleiben, auch wenn’s dem Darge-
ſtellten noch ſo gut ſchmeckt. Ueberhaupt ſollte die Kunſt mehr
darauf bedacht ſein, Geſchmackvolles darzuſtellen, als Schmek-
kendes. Hier hat offenbar die Natur das Prévenir. Das
vergeſſen auch die Dichter gar zu oft, wie auch manche Predi-
ger meinen, wenn ſie ſelber weinten, haͤtten ſie ruͤhrend gepre-
digt. Und doch braͤchte mich eine wirkliche, natuͤrliche, abſichts-
loſe Zwiebel leichter zu Thraͤnen, als ein ſolcher Ruͤhrungspre-
diger. Wie nun aber wenn die Zwiebel ſich einbilden wollte,
ſie ruͤhre, weil ſie macht, daß man weinen muß? Wenn denn
uͤberhaupt auf der Welt geweint ſein muß, ſo bleibt’s doch ein
großer Unterſchied, ob man uͤber das Trauerſpiel, oder den
Trauerſpieldichter weint. Nicht ſelten moͤchte man uͤber den
Trauerſpieler zugleich mitweinen und hat dann eine complete
dreiſtimmig beſetzte Ruͤhrung. Doch ich ſchweife ab.
Zwar habe ich ein Duett zweier pubertaͤtsreifer, verſchie-
den geſchlechtlicher, nuder Menſchenkinder, auf einem Weinblatt
liegend, in einer aus dieſen Verhaͤltniſſen leicht begreiflichen
Attitude, aus ſchneeweißem Alabaſter — wie mir verſichert
wurde, ein Divertiſſement Thorwaldſen’s — geſehen, welches
mir durchaus nicht mißfallen konnte. Aber das Ganze war nicht
groͤßer als ein wirkliches Weinblatt, und weil ſo etwas nicht
groß iſt, darf’s auch nicht groß gebildet werden.
Waͤre es nun wuͤnſchenswerth, es moͤchte die Eßkunſt kei-
nem Kuͤnſtler fremd ſein, da ſie nothwendig den heiterſten Ein-
fluß auf ſeine Weltanſchauung ſowohl, als auf das Zarte und
Geſchmackvolle ſeiner beſonderen Darſtellungen uͤben muͤßte, ſo
iſt ſie doch dem Schauſpieler geradezu unerlaͤßlich. Bekannt-
lich haben wir nicht wenige Trauer-Schau- und Luſtſpiele ſo
wie Opern, in denen gegeſſen wird. Obgleich nun zu wuͤnſchen
waͤre, Dichter und Schauſpieler moͤchten dem Zuſchauer etwas
zu ſchmecken geben, auch ohne Eßdarſtellungen, ſo hat nun ein-
mal dieſe wichtige Thaͤtigkeit auch auf den Welt bedeutenden
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