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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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heit gern zuschreiben möchten, was aber früher als Kindheit zu
seyn scheint, und alles, was an uns ist, bindet und lößt zu ei-
ner Einheit der Freude. Es ist, als hätten wir lange nach der
Musik etwas gesucht und fänden endlich die Musik, die uns
suchte! --

Es wird uns, die wir vielleicht eine Volkspoesie erhalten,
in dem Durchdringen unserer Tage, es wird uns anstimmend
seyn, ihre noch übrigen lebenden Töne aufzusuchen, sie kommt
immer nur auf dieser einen ewigen Himmelsleiter herunter, die
Zeiten sind darin feste Sprossen, auf denen Regenbogen Engel
niedersteigen, sie grüßen versöhnend alle Gegensätzler unsrer
Tage und heilen den großen Riß der Welt, aus dem die Hölle
uns angähnt, mit ihrem Zeigefinger zusammen. Wo Engel
und Engel sich begegnen, das ist Begeisterung *), die weiß von
keinem Streit zwischen Christlichem und Heidnischem, zwischen
Hellenischem und Romantischem, sie kann vieles begreifen und
was sie begreift, ganz, und rein, ein Streit des Glaubens
wird ihr Wahnsinn, weil da der Streit aufhört, wo der Glau-

*) Sie weiß nichts davon, daß die Alten das Schöne gesucht und die Neuen
das unterlassen: Ob es wohl einer kann lassen das Schöne nicht zu fin-
den, oder es kann finden, wenn er es sucht! Alles was mit Lust im
Gemüthe sich aufthut und findet ist schön, sey es Himmel oder Hölle,
nur das Zufällige ist häßlich, aus kindischen Strichen wird nie ein
Apollokopf, und ein Mahler der aus willkührlichen Punkten Gruppen
zeichnet, macht höchstens eine Klingenprobe seines Genies, so der Dich-
ter aus Endreimen. Der Mahler benuzt was ihm die Erfahrungen über
die Farben geben, der Farbe in seinem verschlossenen Auge sich zu nä-
hern, der Dichter was ihm die Sprache giebt, schaffend im widerstre-
benden Stoff, der Reimer legt witzig zusammen, was lange schon vor-
handen, er leimt eine Blume aus verschiedenen Blättern zusammen,
die Fugen nennt er Originalität, die Leute verwundern sich erst dar-
über, dann sehen sie, daß alles daran welkt.

heit gern zuſchreiben moͤchten, was aber fruͤher als Kindheit zu
ſeyn ſcheint, und alles, was an uns iſt, bindet und loͤßt zu ei-
ner Einheit der Freude. Es iſt, als haͤtten wir lange nach der
Muſik etwas geſucht und faͤnden endlich die Muſik, die uns
ſuchte! —

Es wird uns, die wir vielleicht eine Volkspoeſie erhalten,
in dem Durchdringen unſerer Tage, es wird uns anſtimmend
ſeyn, ihre noch uͤbrigen lebenden Toͤne aufzuſuchen, ſie kommt
immer nur auf dieſer einen ewigen Himmelsleiter herunter, die
Zeiten ſind darin feſte Sproſſen, auf denen Regenbogen Engel
niederſteigen, ſie gruͤßen verſoͤhnend alle Gegenſaͤtzler unſrer
Tage und heilen den großen Riß der Welt, aus dem die Hoͤlle
uns angaͤhnt, mit ihrem Zeigefinger zuſammen. Wo Engel
und Engel ſich begegnen, das iſt Begeiſterung *), die weiß von
keinem Streit zwiſchen Chriſtlichem und Heidniſchem, zwiſchen
Helleniſchem und Romantiſchem, ſie kann vieles begreifen und
was ſie begreift, ganz, und rein, ein Streit des Glaubens
wird ihr Wahnſinn, weil da der Streit aufhoͤrt, wo der Glau-

*) Sie weiß nichts davon, daß die Alten das Schoͤne geſucht und die Neuen
das unterlaſſen: Ob es wohl einer kann laſſen das Schoͤne nicht zu fin-
den, oder es kann finden, wenn er es ſucht! Alles was mit Luſt im
Gemuͤthe ſich aufthut und findet iſt ſchoͤn, ſey es Himmel oder Hoͤlle,
nur das Zufaͤllige iſt haͤßlich, aus kindiſchen Strichen wird nie ein
Apollokopf, und ein Mahler der aus willkuͤhrlichen Punkten Gruppen
zeichnet, macht hoͤchſtens eine Klingenprobe ſeines Genies, ſo der Dich-
ter aus Endreimen. Der Mahler benuzt was ihm die Erfahrungen uͤber
die Farben geben, der Farbe in ſeinem verſchloſſenen Auge ſich zu naͤ-
hern, der Dichter was ihm die Sprache giebt, ſchaffend im widerſtre-
benden Stoff, der Reimer legt witzig zuſammen, was lange ſchon vor-
handen, er leimt eine Blume aus verſchiedenen Blaͤttern zuſammen,
die Fugen nennt er Originalitaͤt, die Leute verwundern ſich erſt dar-
uͤber, dann ſehen ſie, daß alles daran welkt.
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[452[462]/0471] heit gern zuſchreiben moͤchten, was aber fruͤher als Kindheit zu ſeyn ſcheint, und alles, was an uns iſt, bindet und loͤßt zu ei- ner Einheit der Freude. Es iſt, als haͤtten wir lange nach der Muſik etwas geſucht und faͤnden endlich die Muſik, die uns ſuchte! — Es wird uns, die wir vielleicht eine Volkspoeſie erhalten, in dem Durchdringen unſerer Tage, es wird uns anſtimmend ſeyn, ihre noch uͤbrigen lebenden Toͤne aufzuſuchen, ſie kommt immer nur auf dieſer einen ewigen Himmelsleiter herunter, die Zeiten ſind darin feſte Sproſſen, auf denen Regenbogen Engel niederſteigen, ſie gruͤßen verſoͤhnend alle Gegenſaͤtzler unſrer Tage und heilen den großen Riß der Welt, aus dem die Hoͤlle uns angaͤhnt, mit ihrem Zeigefinger zuſammen. Wo Engel und Engel ſich begegnen, das iſt Begeiſterung *), die weiß von keinem Streit zwiſchen Chriſtlichem und Heidniſchem, zwiſchen Helleniſchem und Romantiſchem, ſie kann vieles begreifen und was ſie begreift, ganz, und rein, ein Streit des Glaubens wird ihr Wahnſinn, weil da der Streit aufhoͤrt, wo der Glau- *) Sie weiß nichts davon, daß die Alten das Schoͤne geſucht und die Neuen das unterlaſſen: Ob es wohl einer kann laſſen das Schoͤne nicht zu fin- den, oder es kann finden, wenn er es ſucht! Alles was mit Luſt im Gemuͤthe ſich aufthut und findet iſt ſchoͤn, ſey es Himmel oder Hoͤlle, nur das Zufaͤllige iſt haͤßlich, aus kindiſchen Strichen wird nie ein Apollokopf, und ein Mahler der aus willkuͤhrlichen Punkten Gruppen zeichnet, macht hoͤchſtens eine Klingenprobe ſeines Genies, ſo der Dich- ter aus Endreimen. Der Mahler benuzt was ihm die Erfahrungen uͤber die Farben geben, der Farbe in ſeinem verſchloſſenen Auge ſich zu naͤ- hern, der Dichter was ihm die Sprache giebt, ſchaffend im widerſtre- benden Stoff, der Reimer legt witzig zuſammen, was lange ſchon vor- handen, er leimt eine Blume aus verſchiedenen Blaͤttern zuſammen, die Fugen nennt er Originalitaͤt, die Leute verwundern ſich erſt dar- uͤber, dann ſehen ſie, daß alles daran welkt.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 452[462]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/471>, abgerufen am 18.05.2024.