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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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überschwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden
Uebergang, der Zauberstab unterscheidet sich erst von einem ge-
wöhnlichen Stabe nur durch die Farbe, so mag auch diese Kunst
uns nur vorbereiten auf jene höhere am Rheine, der endlich
ermüdet vom wechselnden Reiz, wie das Gold im Sande sich
verliert. Hier zwischen den Bergen beym Ostein leben noch alle
die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert gesammelt *),
viel schönere noch, die eben nur selten gehört werden, weil sie
nur selten wahrhaft sich fügen; sie sind in dem Munde der
meisten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil,
der zingarella und ähnlichen in Italien. Wie die Jacht mit
den Reisenden durch das Wasser schäumt, in jeder Uferkrüm-
mung von den Trümmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft,
so wechseln die Lieder, und wo sie aussteigen:

Der Kukuk mit seinem Schreyen,
Macht fröhlich jedermann,
Des Abends fröhlich reihen
Die Maidlein wohlgethan,
Spazieren zu den Brunnen,
*) Ungedruckte Reste alten Gesanges von Elwert. Marburg 1781. wo er
dieselben Lieder als Herder mittheilt, sind sie besser, Herder konnte sich
der Kritik nicht entladen. Elwert sagt sehr klar: Der Mensch nur, der
im wehenden Abendwind den Schlafgesang der Vögel belauscht, nur
der konnte in voller Wehmuth zum Liebchen seufzen: Wenn ich ein
Vöglein wär und nur zwey Flügel hätt, flög ich zu dir. Aber es kamen
andre Zeiten und die Volkslieder erstarben in meinem Kopfe unter dem
Wuste von wissenschaftlichem Unkraute. Alle Blumen in euren Gärten
sind Kinder des Feldes und Waldes. Sie hatten sanfte Farben von
der Natur, aber sie luxurirten zulezt und wurden oft grell durch über-
flüßigen Saft. Tausend solcher Sträußer blühen im hohen Grase, un-
sre Gelehrten stolpern vorbey, indem sie die hohen Felsen messen, Thür-
me, Stadte und all die großen Wunder der Natur anstaunen.

uͤberſchwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden
Uebergang, der Zauberſtab unterſcheidet ſich erſt von einem ge-
woͤhnlichen Stabe nur durch die Farbe, ſo mag auch dieſe Kunſt
uns nur vorbereiten auf jene hoͤhere am Rheine, der endlich
ermuͤdet vom wechſelnden Reiz, wie das Gold im Sande ſich
verliert. Hier zwiſchen den Bergen beym Oſtein leben noch alle
die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert geſammelt *),
viel ſchoͤnere noch, die eben nur ſelten gehoͤrt werden, weil ſie
nur ſelten wahrhaft ſich fuͤgen; ſie ſind in dem Munde der
meiſten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil,
der zingarella und aͤhnlichen in Italien. Wie die Jacht mit
den Reiſenden durch das Waſſer ſchaͤumt, in jeder Uferkruͤm-
mung von den Truͤmmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft,
ſo wechſeln die Lieder, und wo ſie ausſteigen:

Der Kukuk mit ſeinem Schreyen,
Macht froͤhlich jedermann,
Des Abends froͤhlich reihen
Die Maidlein wohlgethan,
Spazieren zu den Brunnen,
*) Ungedruckte Reſte alten Geſanges von Elwert. Marburg 1781. wo er
dieſelben Lieder als Herder mittheilt, ſind ſie beſſer, Herder konnte ſich
der Kritik nicht entladen. Elwert ſagt ſehr klar: Der Menſch nur, der
im wehenden Abendwind den Schlafgeſang der Voͤgel belauſcht, nur
der konnte in voller Wehmuth zum Liebchen ſeufzen: Wenn ich ein
Voͤglein waͤr und nur zwey Fluͤgel haͤtt, floͤg ich zu dir. Aber es kamen
andre Zeiten und die Volkslieder erſtarben in meinem Kopfe unter dem
Wuſte von wiſſenſchaftlichem Unkraute. Alle Blumen in euren Gaͤrten
ſind Kinder des Feldes und Waldes. Sie hatten ſanfte Farben von
der Natur, aber ſie luxurirten zulezt und wurden oft grell durch uͤber-
fluͤßigen Saft. Tauſend ſolcher Straͤußer bluͤhen im hohen Graſe, un-
ſre Gelehrten ſtolpern vorbey, indem ſie die hohen Felſen meſſen, Thuͤr-
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[457[467]/0476] uͤberſchwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden Uebergang, der Zauberſtab unterſcheidet ſich erſt von einem ge- woͤhnlichen Stabe nur durch die Farbe, ſo mag auch dieſe Kunſt uns nur vorbereiten auf jene hoͤhere am Rheine, der endlich ermuͤdet vom wechſelnden Reiz, wie das Gold im Sande ſich verliert. Hier zwiſchen den Bergen beym Oſtein leben noch alle die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert geſammelt *), viel ſchoͤnere noch, die eben nur ſelten gehoͤrt werden, weil ſie nur ſelten wahrhaft ſich fuͤgen; ſie ſind in dem Munde der meiſten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil, der zingarella und aͤhnlichen in Italien. Wie die Jacht mit den Reiſenden durch das Waſſer ſchaͤumt, in jeder Uferkruͤm- mung von den Truͤmmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft, ſo wechſeln die Lieder, und wo ſie ausſteigen: Der Kukuk mit ſeinem Schreyen, Macht froͤhlich jedermann, Des Abends froͤhlich reihen Die Maidlein wohlgethan, Spazieren zu den Brunnen, *) Ungedruckte Reſte alten Geſanges von Elwert. Marburg 1781. wo er dieſelben Lieder als Herder mittheilt, ſind ſie beſſer, Herder konnte ſich der Kritik nicht entladen. Elwert ſagt ſehr klar: Der Menſch nur, der im wehenden Abendwind den Schlafgeſang der Voͤgel belauſcht, nur der konnte in voller Wehmuth zum Liebchen ſeufzen: Wenn ich ein Voͤglein waͤr und nur zwey Fluͤgel haͤtt, floͤg ich zu dir. Aber es kamen andre Zeiten und die Volkslieder erſtarben in meinem Kopfe unter dem Wuſte von wiſſenſchaftlichem Unkraute. Alle Blumen in euren Gaͤrten ſind Kinder des Feldes und Waldes. Sie hatten ſanfte Farben von der Natur, aber ſie luxurirten zulezt und wurden oft grell durch uͤber- fluͤßigen Saft. Tauſend ſolcher Straͤußer bluͤhen im hohen Graſe, un- ſre Gelehrten ſtolpern vorbey, indem ſie die hohen Felſen meſſen, Thuͤr- me, Stadte und all die großen Wunder der Natur anſtaunen.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 457[467]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/476>, abgerufen am 24.11.2024.