kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug' für ihn offen hatte, und im vorigen Jahr nicht.
Du hast mich geweckt mitten in lauen Sommer- lüften, und da ich die Augen aufschlug, sah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir schweben, und da langt ich nach ihnen.
Adieu! in der Mutter Brief steht viel von Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.
Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schlosser in Ih- ren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es thut meinem armen Hochmuth gar zu weh.
Bettine.
Dein Kind, dein Herz, dein gut Mädchen, das dem Goethe über al- les lieb hat, und sich mit seinem An- denken über alles trösten kann.
An Goethe.
18ten Juni.
Gestern saß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, Sie sah mich an und sagte: Nun was giebt's? -- warum siehst Du mich nicht an? -- ich wollte sie solle mir erzählen; -- ich hatte den Kopf in meine Arme
kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug' für ihn offen hatte, und im vorigen Jahr nicht.
Du haſt mich geweckt mitten in lauen Sommer- lüften, und da ich die Augen aufſchlug, ſah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir ſchweben, und da langt ich nach ihnen.
Adieu! in der Mutter Brief ſteht viel von Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.
Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schloſſer in Ih- ren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es thut meinem armen Hochmuth gar zu weh.
Bettine.
Dein Kind, dein Herz, dein gut Mädchen, das dem Goethe über al- les lieb hat, und ſich mit ſeinem An- denken über alles tröſten kann.
An Goethe.
18ten Juni.
Geſtern ſaß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, Sie ſah mich an und ſagte: Nun was giebt's? — warum ſiehſt Du mich nicht an? — ich wollte ſie ſolle mir erzählen; — ich hatte den Kopf in meine Arme
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kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug' für ihn offen
hatte, und im vorigen Jahr nicht.
Du haſt mich geweckt mitten in lauen Sommer-
lüften, und da ich die Augen aufſchlug, ſah ich die
reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir ſchweben,
und da langt ich nach ihnen.
Adieu! in der Mutter Brief ſteht viel von Gall
und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.
Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schloſſer in Ih-
ren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer
Rubrik; es thut meinem armen Hochmuth gar zu weh.
Bettine.
Dein Kind, dein Herz, dein gut
Mädchen, das dem Goethe über al-
les lieb hat, und ſich mit ſeinem An-
denken über alles tröſten kann.
An Goethe.
18ten Juni.
Geſtern ſaß ich der Mutter gegenüber auf meinem
Schemel, Sie ſah mich an und ſagte: Nun was giebt's?
— warum ſiehſt Du mich nicht an? — ich wollte ſie
ſolle mir erzählen; — ich hatte den Kopf in meine Arme
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/163>, abgerufen am 21.11.2024.
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