der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der Decke spielte; da hört' ich's raschlen an der Thür, und mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, wäh- rend ich lauschte, aber weil es doch ganz unmöglich war, in dieser späten Stunde, und weil es ganz still war, so hört' ich nicht auf mein ahndendes Herz; -- und da trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und machte leise die Thür hinter sich zu, und sah sich um, wo er mich finden sollte; ich lag in der Ecke des So- phas ganz in Finsterniß eingeballt, und schwieg; da nahm er seinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuch- ten sah, und den suchenden Blick, und wie der Mund fragte: Nun, wo bist Du denn? da that ich einen lei- sen Schrei des Entsetzens über meine Seeligkeit, und da hat er mich auch gleich gefunden.
Die Mutter meinte, das würde eine schöne Ge- schichte geworden sein in Weimar. Der Herr Minister um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine Visite gemacht! -- Ja wohl ist die Geschichte schön! jetzt, wo ich sie hier überlese, bin ich entzückt, überrascht, hingerissen, daß mir dies all' begegnet ist, und ich frag' Dich: welche Stunde wird so spät sein in deinem Le- ben, daß es nicht dein Herz noch rühren sollte? -- Wie Du in der Wiege lagst, da konnte kein Mensch ahn-
der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der Decke ſpielte; da hört' ich's raſchlen an der Thür, und mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, wäh- rend ich lauſchte, aber weil es doch ganz unmöglich war, in dieſer ſpäten Stunde, und weil es ganz ſtill war, ſo hört' ich nicht auf mein ahndendes Herz; — und da trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und machte leiſe die Thür hinter ſich zu, und ſah ſich um, wo er mich finden ſollte; ich lag in der Ecke des So- phas ganz in Finſterniß eingeballt, und ſchwieg; da nahm er ſeinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuch- ten ſah, und den ſuchenden Blick, und wie der Mund fragte: Nun, wo biſt Du denn? da that ich einen lei- ſen Schrei des Entſetzens über meine Seeligkeit, und da hat er mich auch gleich gefunden.
Die Mutter meinte, das würde eine ſchöne Ge- ſchichte geworden ſein in Weimar. Der Herr Miniſter um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine Viſite gemacht! — Ja wohl iſt die Geſchichte ſchön! jetzt, wo ich ſie hier überleſe, bin ich entzückt, überraſcht, hingeriſſen, daß mir dies all' begegnet iſt, und ich frag' Dich: welche Stunde wird ſo ſpät ſein in deinem Le- ben, daß es nicht dein Herz noch rühren ſollte? — Wie Du in der Wiege lagſt, da konnte kein Menſch ahn-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0194"n="162"/>
der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der<lb/>
Decke ſpielte; da hört' ich's raſchlen an der Thür, und<lb/>
mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, wäh-<lb/>
rend ich lauſchte, aber weil es doch ganz unmöglich war,<lb/>
in dieſer ſpäten Stunde, und weil es ganz ſtill war, ſo<lb/>
hört' ich nicht auf mein ahndendes Herz; — und da<lb/>
trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und<lb/>
machte leiſe die Thür hinter ſich zu, und ſah ſich um,<lb/>
wo er mich finden ſollte; ich lag in der Ecke des So-<lb/>
phas ganz in Finſterniß eingeballt, und ſchwieg; da<lb/>
nahm er ſeinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuch-<lb/>
ten ſah, und den ſuchenden Blick, und wie der Mund<lb/>
fragte: Nun, wo biſt Du denn? da that ich einen lei-<lb/>ſen Schrei des Entſetzens über meine Seeligkeit, und da<lb/>
hat er mich auch gleich gefunden.</p><lb/><p>Die Mutter meinte, das würde eine ſchöne Ge-<lb/>ſchichte geworden ſein in Weimar. Der Herr Miniſter<lb/>
um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine<lb/>
Viſite gemacht! — Ja wohl iſt die Geſchichte ſchön!<lb/>
jetzt, wo ich ſie hier überleſe, bin ich entzückt, überraſcht,<lb/>
hingeriſſen, daß <hirendition="#g">mir</hi> dies all' begegnet iſt, und ich frag'<lb/>
Dich: welche Stunde wird ſo ſpät ſein in deinem Le-<lb/>
ben, daß es nicht dein Herz noch rühren ſollte? — Wie<lb/><hirendition="#g">Du</hi> in der Wiege lagſt, da konnte kein Menſch ahn-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0194]
der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der
Decke ſpielte; da hört' ich's raſchlen an der Thür, und
mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, wäh-
rend ich lauſchte, aber weil es doch ganz unmöglich war,
in dieſer ſpäten Stunde, und weil es ganz ſtill war, ſo
hört' ich nicht auf mein ahndendes Herz; — und da
trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und
machte leiſe die Thür hinter ſich zu, und ſah ſich um,
wo er mich finden ſollte; ich lag in der Ecke des So-
phas ganz in Finſterniß eingeballt, und ſchwieg; da
nahm er ſeinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuch-
ten ſah, und den ſuchenden Blick, und wie der Mund
fragte: Nun, wo biſt Du denn? da that ich einen lei-
ſen Schrei des Entſetzens über meine Seeligkeit, und da
hat er mich auch gleich gefunden.
Die Mutter meinte, das würde eine ſchöne Ge-
ſchichte geworden ſein in Weimar. Der Herr Miniſter
um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine
Viſite gemacht! — Ja wohl iſt die Geſchichte ſchön!
jetzt, wo ich ſie hier überleſe, bin ich entzückt, überraſcht,
hingeriſſen, daß mir dies all' begegnet iſt, und ich frag'
Dich: welche Stunde wird ſo ſpät ſein in deinem Le-
ben, daß es nicht dein Herz noch rühren ſollte? — Wie
Du in der Wiege lagſt, da konnte kein Menſch ahn-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/194>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.