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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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An Goethe.

Wer draußen auf der Taunusspitze wär' und die Ge-
gend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schön-
heit steigen und sinken sähe Abends und Morgens, wäh-
rend sein Herz so mit Dir beschäftigt wär' wie meins,
der würde freilich auch besser sagen können was er zu
sagen hat. Ich möchte so gern vertraulich mit Dir
sprechen, und Du verlangst ja auch ich soll Eigensinn
und Laune Dir preisgeben.

Du kennst mein Herz, Du weißt das alles Sehn-
sucht ist, Wille, Gedanke und Ahndung; Du wohnst
unter Geistern, sie geben Dir göttliche Wahrheit. Du
mußt mich ernähren, Du giebst alles zum Voraus was
ich nicht zu fordern verstehe. Mein Geist hat einen
kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt
sie in's Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht
ruhig werden als wenn der Geist ihr gewachsen ist;
Du bist meiner Liebe gewachsen; Du bist mild, freund-
lich, nachsichtig; lasse mich's fühlen wenn mein Herz
sich nicht im Takt wiegt, ich versteh Deine leisen Winke.

Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein
Kuß von Dir auf meinen Mund, belehrt mich über

An Goethe.

Wer draußen auf der Taunusſpitze wär' und die Ge-
gend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schön-
heit ſteigen und ſinken ſähe Abends und Morgens, wäh-
rend ſein Herz ſo mit Dir beſchäftigt wär' wie meins,
der würde freilich auch beſſer ſagen können was er zu
ſagen hat. Ich möchte ſo gern vertraulich mit Dir
ſprechen, und Du verlangſt ja auch ich ſoll Eigenſinn
und Laune Dir preisgeben.

Du kennſt mein Herz, Du weißt das alles Sehn-
ſucht iſt, Wille, Gedanke und Ahndung; Du wohnſt
unter Geiſtern, ſie geben Dir göttliche Wahrheit. Du
mußt mich ernähren, Du giebſt alles zum Voraus was
ich nicht zu fordern verſtehe. Mein Geiſt hat einen
kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt
ſie in's Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht
ruhig werden als wenn der Geiſt ihr gewachſen iſt;
Du biſt meiner Liebe gewachſen; Du biſt mild, freund-
lich, nachſichtig; laſſe mich's fühlen wenn mein Herz
ſich nicht im Takt wiegt, ich verſteh Deine leiſen Winke.

Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein
Kuß von Dir auf meinen Mund, belehrt mich über

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[187/0219] An Goethe. Wer draußen auf der Taunusſpitze wär' und die Ge- gend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schön- heit ſteigen und ſinken ſähe Abends und Morgens, wäh- rend ſein Herz ſo mit Dir beſchäftigt wär' wie meins, der würde freilich auch beſſer ſagen können was er zu ſagen hat. Ich möchte ſo gern vertraulich mit Dir ſprechen, und Du verlangſt ja auch ich ſoll Eigenſinn und Laune Dir preisgeben. Du kennſt mein Herz, Du weißt das alles Sehn- ſucht iſt, Wille, Gedanke und Ahndung; Du wohnſt unter Geiſtern, ſie geben Dir göttliche Wahrheit. Du mußt mich ernähren, Du giebſt alles zum Voraus was ich nicht zu fordern verſtehe. Mein Geiſt hat einen kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt ſie in's Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht ruhig werden als wenn der Geiſt ihr gewachſen iſt; Du biſt meiner Liebe gewachſen; Du biſt mild, freund- lich, nachſichtig; laſſe mich's fühlen wenn mein Herz ſich nicht im Takt wiegt, ich verſteh Deine leiſen Winke. Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein Kuß von Dir auf meinen Mund, belehrt mich über

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/219>, abgerufen am 21.11.2024.