cher ich Dir hier ein Bruchstück beilege. Den Primas hab' ich in Aschaffenburg besucht, er meint immer, ich habe die Kinderschuhe noch nicht ausgetreten, und be- grüßt mich, indem er mir die Wangen streichelt, und mich herzlich küßt. Diesmal sagte er: Mein gutes, lie- bes Schätzchen, wie Sie frisch aussehen und wie sie ge- wachsen sind! -- Ein solches Betragen hat nun eine zauberische Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und gar, wie er mich ansah, und betrug mich auch als ob ich nur zwölf Jahr alt sei, ich erlaubte mir allen Scherz und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter solchen zweifelhaften Umständen trug ich ihm deine Aufträge vor. Sei nur nicht bestürzt, ich kenne dein würdevolles Benehmen mit großen Herren, und habe Dir als Both- schafter nichts vergeben, ich hatte mir einen schriftlichen Auszug aus dem Brief an deine Mutter gemacht, und legte ihm denselben vor, und die Zeile, wo Du geschrie- ben hast: Die Bettine soll sich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weise vom Primas heraus zu locken, die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade se- hen, was da unten verborgen sei; ich machte vorher meine Bedingungen, er versprach mir das kleine Indi- sche Herbarium, es ist in Paris, und er wollte noch den- selben Tag drum schreiben. Was die Papiere des Probst
cher ich Dir hier ein Bruchſtück beilege. Den Primas hab' ich in Aſchaffenburg beſucht, er meint immer, ich habe die Kinderſchuhe noch nicht ausgetreten, und be- grüßt mich, indem er mir die Wangen ſtreichelt, und mich herzlich küßt. Diesmal ſagte er: Mein gutes, lie- bes Schätzchen, wie Sie friſch ausſehen und wie ſie ge- wachſen ſind! — Ein ſolches Betragen hat nun eine zauberiſche Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und gar, wie er mich anſah, und betrug mich auch als ob ich nur zwölf Jahr alt ſei, ich erlaubte mir allen Scherz und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter ſolchen zweifelhaften Umſtänden trug ich ihm deine Aufträge vor. Sei nur nicht beſtürzt, ich kenne dein würdevolles Benehmen mit großen Herren, und habe Dir als Both- ſchafter nichts vergeben, ich hatte mir einen ſchriftlichen Auszug aus dem Brief an deine Mutter gemacht, und legte ihm denſelben vor, und die Zeile, wo Du geſchrie- ben haſt: Die Bettine ſoll ſich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weiſe vom Primas heraus zu locken, die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade ſe- hen, was da unten verborgen ſei; ich machte vorher meine Bedingungen, er verſprach mir das kleine Indi- ſche Herbarium, es iſt in Paris, und er wollte noch den- ſelben Tag drum ſchreiben. Was die Papiere des Probſt
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cher ich Dir hier ein Bruchſtück beilege. Den Primas hab'
ich in Aſchaffenburg beſucht, er meint immer, ich
habe die Kinderſchuhe noch nicht ausgetreten, und be-
grüßt mich, indem er mir die Wangen ſtreichelt, und
mich herzlich küßt. Diesmal ſagte er: Mein gutes, lie-
bes Schätzchen, wie Sie friſch ausſehen und wie ſie ge-
wachſen ſind! — Ein ſolches Betragen hat nun eine
zauberiſche Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und
gar, wie er mich anſah, und betrug mich auch als ob
ich nur zwölf Jahr alt ſei, ich erlaubte mir allen Scherz
und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter ſolchen
zweifelhaften Umſtänden trug ich ihm deine Aufträge
vor. Sei nur nicht beſtürzt, ich kenne dein würdevolles
Benehmen mit großen Herren, und habe Dir als Both-
ſchafter nichts vergeben, ich hatte mir einen ſchriftlichen
Auszug aus dem Brief an deine Mutter gemacht, und
legte ihm denſelben vor, und die Zeile, wo Du geſchrie-
ben haſt: Die Bettine ſoll ſich doch alle Mühe geben,
dies auf eine artige Weiſe vom Primas heraus zu locken,
die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade ſe-
hen, was da unten verborgen ſei; ich machte vorher
meine Bedingungen, er verſprach mir das kleine Indi-
ſche Herbarium, es iſt in Paris, und er wollte noch den-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/342>, abgerufen am 23.11.2024.
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