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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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er sie. -- Wie neigt er sich herab zu ihr für diese Zärt-
lichkeit, ihm entgegen zu blühen! -- Wie hab' ich ge-
wühlt im Gras und hab' gesehen, wie eins neben dem
andern sich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht
übersehen bei der Fülle, aber sein schöner Name hat
mich mit ihm vertraut gemacht, und wer sie genannt
hat, der muß sie geliebt und verstanden haben. Das
kleine Schäfertäschchen zum Beispiel -- ich hätte es
nicht bemerkt, aber wie ich seinen Namen hörte, da
fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein solches
Täschchen öffnen, und fand es gefüllt mit Saamenper-
len. Ach, alle Form enthält Geist und Leben, um sich
auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen
nicht? -- singen sie nicht! -- schreiben sie nicht Geist
in die Luft? -- malen sie nicht sich selbst ihr Innerstes
in ihrem Bild? -- Alle Blumen hab' ich geliebt, eine
jede in ihrer Art, wie ich sie nach einander kennen lernte,
und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre
Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir
zum ersten Mal die Zunge aus seinem sammtnen Rachen
entgegen streckte, als ich es zu kräftig anfaßte. -- Ich
will sie nicht nennen alle, mit denen ich so innig ver-
traut wurde, wie sie mir jetzt im Gedächtniß erwachen;
nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrthenbaums,

er ſie. — Wie neigt er ſich herab zu ihr für dieſe Zärt-
lichkeit, ihm entgegen zu blühen! — Wie hab' ich ge-
wühlt im Gras und hab' geſehen, wie eins neben dem
andern ſich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht
überſehen bei der Fülle, aber ſein ſchöner Name hat
mich mit ihm vertraut gemacht, und wer ſie genannt
hat, der muß ſie geliebt und verſtanden haben. Das
kleine Schäfertäſchchen zum Beiſpiel — ich hätte es
nicht bemerkt, aber wie ich ſeinen Namen hörte, da
fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein ſolches
Täſchchen öffnen, und fand es gefüllt mit Saamenper-
len. Ach, alle Form enthält Geiſt und Leben, um ſich
auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen
nicht? — ſingen ſie nicht! — ſchreiben ſie nicht Geiſt
in die Luft? — malen ſie nicht ſich ſelbſt ihr Innerſtes
in ihrem Bild? — Alle Blumen hab' ich geliebt, eine
jede in ihrer Art, wie ich ſie nach einander kennen lernte,
und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre
Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir
zum erſten Mal die Zunge aus ſeinem ſammtnen Rachen
entgegen ſtreckte, als ich es zu kräftig anfaßte. — Ich
will ſie nicht nennen alle, mit denen ich ſo innig ver-
traut wurde, wie ſie mir jetzt im Gedächtniß erwachen;
nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrthenbaums,

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[325/0357] er ſie. — Wie neigt er ſich herab zu ihr für dieſe Zärt- lichkeit, ihm entgegen zu blühen! — Wie hab' ich ge- wühlt im Gras und hab' geſehen, wie eins neben dem andern ſich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht überſehen bei der Fülle, aber ſein ſchöner Name hat mich mit ihm vertraut gemacht, und wer ſie genannt hat, der muß ſie geliebt und verſtanden haben. Das kleine Schäfertäſchchen zum Beiſpiel — ich hätte es nicht bemerkt, aber wie ich ſeinen Namen hörte, da fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein ſolches Täſchchen öffnen, und fand es gefüllt mit Saamenper- len. Ach, alle Form enthält Geiſt und Leben, um ſich auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen nicht? — ſingen ſie nicht! — ſchreiben ſie nicht Geiſt in die Luft? — malen ſie nicht ſich ſelbſt ihr Innerſtes in ihrem Bild? — Alle Blumen hab' ich geliebt, eine jede in ihrer Art, wie ich ſie nach einander kennen lernte, und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir zum erſten Mal die Zunge aus ſeinem ſammtnen Rachen entgegen ſtreckte, als ich es zu kräftig anfaßte. — Ich will ſie nicht nennen alle, mit denen ich ſo innig ver- traut wurde, wie ſie mir jetzt im Gedächtniß erwachen; nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrthenbaums,

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/357>, abgerufen am 21.11.2024.