Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich ist. Was ist nun Geist und Klugheit, da der seeligste Mensch, wie ich, ihrer nicht bedarf? --
Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn sah zum ersten Mal, da brach er ein junges Blatt von den Reben die an seinem Fenster hinaufwachsen, und legt's an meine Wange und sagte: das Blatt und deine Wange sind beide wollig; ich saß auf dem Schemel zu seinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit ver- ging im Stillen. -- Nun, was hätten wir Kluges ein- ander sagen können was diesem verborgnen Glück nicht Eintrag gethan hätte; welch' Geisteswort hätte diesen stillen Frieden ersetzt der in uns blühte? -- O wie oft hab' ich an dieses Blatt gedacht, und wie er damit mir die Stirne und das Gesicht streichelte, und wie er meine Haare durch die Finger zog und sagte: ich bin nicht klug; man kann mich leicht betrügen, du hast keine Ehre davon wenn du mir was weis machst mit deiner Liebe. -- Da fiel ich ihm um den Hals. -- Das alles war kein Geist und doch hab' ich's tausendmal in Ge- danken durchlebt, und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug' das Licht trinkt; -- es war kein Geist, und doch überstrahlt es mir alle Weisheit der Welt. -- Was kann mir sein freundliches Spielen mit
Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich iſt. Was iſt nun Geiſt und Klugheit, da der ſeeligſte Menſch, wie ich, ihrer nicht bedarf? —
Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn ſah zum erſten Mal, da brach er ein junges Blatt von den Reben die an ſeinem Fenſter hinaufwachſen, und legt's an meine Wange und ſagte: das Blatt und deine Wange ſind beide wollig; ich ſaß auf dem Schemel zu ſeinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit ver- ging im Stillen. — Nun, was hätten wir Kluges ein- ander ſagen können was dieſem verborgnen Glück nicht Eintrag gethan hätte; welch' Geiſteswort hätte dieſen ſtillen Frieden erſetzt der in uns blühte? — O wie oft hab' ich an dieſes Blatt gedacht, und wie er damit mir die Stirne und das Geſicht ſtreichelte, und wie er meine Haare durch die Finger zog und ſagte: ich bin nicht klug; man kann mich leicht betrügen, du haſt keine Ehre davon wenn du mir was weis machſt mit deiner Liebe. — Da fiel ich ihm um den Hals. — Das alles war kein Geiſt und doch hab' ich's tauſendmal in Ge- danken durchlebt, und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug' das Licht trinkt; — es war kein Geiſt, und doch überſtrahlt es mir alle Weisheit der Welt. — Was kann mir ſein freundliches Spielen mit
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Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich iſt. Was iſt
nun Geiſt und Klugheit, da der ſeeligſte Menſch, wie
ich, ihrer nicht bedarf? —
Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn
ſah zum erſten Mal, da brach er ein junges Blatt von
den Reben die an ſeinem Fenſter hinaufwachſen, und
legt's an meine Wange und ſagte: das Blatt und deine
Wange ſind beide wollig; ich ſaß auf dem Schemel zu
ſeinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit ver-
ging im Stillen. — Nun, was hätten wir Kluges ein-
ander ſagen können was dieſem verborgnen Glück nicht
Eintrag gethan hätte; welch' Geiſteswort hätte dieſen
ſtillen Frieden erſetzt der in uns blühte? — O wie oft
hab' ich an dieſes Blatt gedacht, und wie er damit mir
die Stirne und das Geſicht ſtreichelte, und wie er meine
Haare durch die Finger zog und ſagte: ich bin nicht
klug; man kann mich leicht betrügen, du haſt keine
Ehre davon wenn du mir was weis machſt mit deiner
Liebe. — Da fiel ich ihm um den Hals. — Das alles
war kein Geiſt und doch hab' ich's tauſendmal in Ge-
danken durchlebt, und werde mein Leben lang dran
trinken wie das Aug' das Licht trinkt; — es war kein
Geiſt, und doch überſtrahlt es mir alle Weisheit der
Welt. — Was kann mir ſein freundliches Spielen mit
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/66>, abgerufen am 24.11.2024.
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