flucht zu höheren Mächten nehmen. Deine Briefe wan- dern mit mir, sie sollen mir dort dein freundliches, lie- bevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr sage ich nicht denn eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder schaffst oder nimmst. Lebe wohl und gedenke mein.
Jena, den 10. Mai 1810.
Goethe.
Wien, den 15. Mai.
Ein ungeheurer Maiblumenstrauß durchduftet mein kleines Cabinet, mir ist wohl hier im engen kleinen Käm- merchen auf dem alten Thurm wo ich den ganzen Pra- ter übersehe: Bäume und Bäume von majestätischen An- sehen, herrlicher grüner Rasen. Hier wohne ich im Hause des verstorbnen Birkenstock, mitten zwischen 20000 Ku- pferstichen, eben so viel Handzeichnungen, so viel hun- dert alten Aschenkrügen und hetrurischen Lampen, Mar- morvasen, antiken Bruchstücken von Händen und Füßen, Gemälden, chinesischen Kleidern, Münzen, Steinsamm- lung, Meerinsekten, Ferngläser, unzählbare Landkarten, Plane alter versunkener Reiche und Städte, kunstreich geschnitzter Stöcke, kostbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaiser Karolus. Dies alles umgiebt uns
flucht zu höheren Mächten nehmen. Deine Briefe wan- dern mit mir, ſie ſollen mir dort dein freundliches, lie- bevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr ſage ich nicht denn eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder ſchaffſt oder nimmſt. Lebe wohl und gedenke mein.
Jena, den 10. Mai 1810.
Goethe.
Wien, den 15. Mai.
Ein ungeheurer Maiblumenſtrauß durchduftet mein kleines Cabinet, mir iſt wohl hier im engen kleinen Käm- merchen auf dem alten Thurm wo ich den ganzen Pra- ter überſehe: Bäume und Bäume von majeſtätiſchen An- ſehen, herrlicher grüner Raſen. Hier wohne ich im Hauſe des verſtorbnen Birkenſtock, mitten zwiſchen 20000 Ku- pferſtichen, eben ſo viel Handzeichnungen, ſo viel hun- dert alten Aſchenkrügen und hetruriſchen Lampen, Mar- morvaſen, antiken Bruchſtücken von Händen und Füßen, Gemälden, chineſiſchen Kleidern, Münzen, Steinſamm- lung, Meerinſekten, Ferngläſer, unzählbare Landkarten, Plane alter verſunkener Reiche und Städte, kunſtreich geſchnitzter Stöcke, koſtbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaiſer Karolus. Dies alles umgiebt uns
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flucht zu höheren Mächten nehmen. Deine Briefe wan-
dern mit mir, ſie ſollen mir dort dein freundliches, lie-
bevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr ſage ich nicht
denn eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du
Dir alles entweder ſchaffſt oder nimmſt. Lebe wohl und
gedenke mein.
Jena, den 10. Mai 1810.
Goethe.
Wien, den 15. Mai.
Ein ungeheurer Maiblumenſtrauß durchduftet mein
kleines Cabinet, mir iſt wohl hier im engen kleinen Käm-
merchen auf dem alten Thurm wo ich den ganzen Pra-
ter überſehe: Bäume und Bäume von majeſtätiſchen An-
ſehen, herrlicher grüner Raſen. Hier wohne ich im Hauſe
des verſtorbnen Birkenſtock, mitten zwiſchen 20000 Ku-
pferſtichen, eben ſo viel Handzeichnungen, ſo viel hun-
dert alten Aſchenkrügen und hetruriſchen Lampen, Mar-
morvaſen, antiken Bruchſtücken von Händen und Füßen,
Gemälden, chineſiſchen Kleidern, Münzen, Steinſamm-
lung, Meerinſekten, Ferngläſer, unzählbare Landkarten,
Plane alter verſunkener Reiche und Städte, kunſtreich
geſchnitzter Stöcke, koſtbare Dokumente und endlich das
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/185>, abgerufen am 21.11.2024.
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